Erika Rau: Meine Studienzeit am Konservatorium Würzburg

(Zusammengestellt aus Erinnerungen und Tagebüchern von Erika Rau)

Ich hatte nach dem Abitur 1943 schon mit dem Studium der Schulmusik am Konservatorium Würzburg begonnen, als 1944 der „Totale Krieg“ ausgerufen wurde und alle Studentinnen unseres Orchesters als Flakhelferinnen zum Flugplatz Schweinfurt verpflichtet wurden. Nach Kriegsende dauerte es lange, bis Schulen und Hochschulen wieder den Unterricht aufnehmen konnten, und so überbrückte man die Zeit mit verschiedenen Tätigkeiten. Als dann das Konservatorium in Würzburg wieder eröffnet wurde, meldete ich mich zum Studium an. Allerdings war es nun nicht mehr möglich, in Würzburg Schulmusik zu studieren, und so bewarb ich mich dort für die Fächer Violine und Gesang und belegte später auch die Fächer für das Privatmusiklehrer-Examen.

Meine Aufnahmeprüfung machte ich am 21.09.1948. Nachdem der alte Konservatoriumsbau beim Fliegerangriff am 16.03.1945 völlig zerstört worden war, musste die kommissarische Leitung unter Prof. Lindner nach Räumen suchen, in denen mit dem Unterricht begonnen werden konnte. So waren auf der Festung Marienberg zwei Zimmer angemietet worden, in denen sich das Direktorat befand und in denen auch die Aufnahmeprüfungen abgehalten wurden.
Am 06.10. wurde das Semester für uns evangelische Studenten mit einem Gottesdienst in der Deutschhaus-Kirche eröffnet, für die Katholiken in der Hofkirche. Am gleichen Tag wurde die Stundenplan-Einteilung bekanntgegeben. Der Unterricht begann schon am folgenden Tag. Die damaligen Verhältnisse nach dem Krieg in der zerbombten Stadt kann sich ein heutiger Student kaum mehr vorstellen: Für die theoretischen Fächer gab es zwei Schulsäle in der stehengebliebenen Oberrealschule (heute Röntgen-Gymnasium), die nur notdürftig geflickte Fenster und keine Heizung hatten. Der Gesangs- und Instrumental-Unterricht musste in den Privatwohnungen der Lehrkräfte stattfinden, was oft weite Wege erforderte. Üben auf dem Instrument in Zwischenstunden war während der Unterrichtstage aus Mangel an Räumen überhaupt nicht möglich. Ich hatte meinen Unterricht an drei Tagen der Woche und musste für zwei Nächte eine Schlafstelle finden; denn wir wohnten in dem kleinen Dorf Westheim (dort war mein Vater Lehrer), das keinerlei Busverbindung hatte. Und so war die tägliche Fahrt bei den damaligen Verkehrsverhältnissen nicht zumutbar: Ich musste entweder die etwa 15 km nach Würzburg mit dem Rad fahren, was bei Wind und Wetter, bepackt mit der Geige, sehr anstrengend war, oder ich fuhr bis zum 3 km entfernten Theilheim mit dem Rad und von dort mit dem nur zweimal am Tag verkehrenden Bus bis Würzburg. Auf dem Rückweg musste ich dann das Rad von Theilheim aus den steilen Berg zum höher gelegenen Westheim hinaufschieben. Man war froh, wenn einen gelegentlich ein Lastauto mitnahm. Zum Glück konnte ich vorerst bei meiner Tante, der Frau von Dekan Curt Schadewitz, der damals auch nur eine kleine Wohnung und kein Pfarrhaus hatte, für die jeweils zwei Nächte in der Woche unterkommen, indem sie mir das Bett des Vikars richtete; denn der war unter der Woche oft auswärts. Auch die Ernährung war damals ja noch ein ziemliches Problem, und wir Studenten waren natürlich immer knapp bei Kasse. Das Frühstück bekam ich bei meiner Tante, mittags aßen wir meist in der Mensa der Universität, wo es einigermaßen billig war, später auch in der „Goldenen Gans“ und bei „Halboth“ am Eingang des Steinbachtals, wo es preiswertes Essen gab, und am Abend begnügte man sich mit einem Stück Brot. Später gab es auch die sog. Schulspeisung der Amerikaner im Studentenhaus.

Ich hatte Gesangsunterricht bei Herrn König, Violine bei Herrn Krasser, Klavier bei Herrn Knettel, den ich als besonders liebenswürdigen und feinsinnigen Lehrer und Menschen kennenlernte. Die theoretischen Fächer gab zunächst Herr Direktor Rau, später auch Herr Dr. Häfner. Besonders interessant fand ich die Operngeschichte bei Rau; ihn bewunderte ich sehr wegen seines umfassenden Wissens. Als erste Oper nahmen wir bei ihm „Orfeo“ von Monteverdi durch. Im Dezember 1948 bekam dann das Konservatorium endlich ein eigenes Haus, die romantisch in einem Park gelegene Villa Völk, in der wir uns sehr wohlfühlten. Das war natürlich – trotz der räumlichen Enge – ein gewaltiger Fortschritt! Wenn man im Konservatorium tagsüber üben wollte, musste man schauen, ob irgendein Zimmer gerade frei war. Ich übte öfter in Zimmer Nr.16, dem ehemaligen Badezimmer(!) der Villa Völk, in dem Herr Gugel gewöhnlich seinen Unterricht gab. Die Schüler-Vorspielabende fanden im Vestibül der Villa statt, die öffentlichen Konzerte in Kirchen oder dem Gartensaal der Residenz. Am 25.02.1949 veranstalteten wir einen großen Faschingsball, zu dem wir Studenten das ganze Haus schmückten und alle viel Spaß hatten. Am 14.07.1949 endete mein erstes Jahr am Konservatorium, das neue begann im September. Nun nahm ich auch am Seminar für Privatmusiklehrer teil, das Herr Dr. Häfner leitete.

Ich wohnte jetzt am Dallenberg bei einem Frl. Zeißner, wo ich mir zusammen mit Anneliese Schober (sie war aus Lübeck gekommen) ein Zimmer teilte. Dort kochten wir uns am Abend auf einem kleinen Kocher in unserem Zimmer Nudeln oder aßen einen Bückling mit Brot. Im Dezember zog ich dann noch einmal um zu meiner Kollegin Elfriede Streller, deren Elternhaus am Winterleitenweg stand. Hier teilte ich das Zimmer mit Inge Laske. Am 17.12. hatten wir eine schöne Weihnachtsfeier im Vestibül des Konservatoriums, und am 19.12. gestalteten wir eine Weihnachtsfeier in der Ohrenklinik (ich nehme an auf Betreiben von Dr. Eichler, der ja HNO-Arzt war).

Auch 1950 veranstalteten wir wieder einen Faschingsball in der Villa Völk. Nach den Schülerkonzerten gingen wir öfter gemeinsam mit Professoren in den „Walfisch“, der damals noch nicht so exklusiv und teuer war wie heute. Im September musste ich wegen einer Schleimbeutelentzündung am Knie wochenlang im Kitzinger Krankenhaus liegen und konnte erst am 17.10. wieder am Unterricht teilnehmen. Mein Gesangslehrer Herr König ging in Pension, und für ihn wurde Frau Klink-Schneider aus Nürnberg ans Konservatorium berufen. Bei ihr lernte ich enorm viel und war auch später bis zu ihrem Tod freundschaftlich mit ihr verbunden. 1950 legte ich mein Musiklehrer-Examen in Violine ab, blieb aber weiterhin am Konservatorium zum Gesangsstudium bei Frau Klink, Violine bei Herrn Krasser, Klavier bei Herrn Knettel und zu den Vorlesungen bei Prof. Rau und dem Opern-Ensemble bei Intendant Scherer, das mir besondere Freude machte. In bester Erinnerung ist mir aus dieser Zeit auch eine mehrtägige Fahrt mit Prof. Rau und Dr. Häfner nach München zu Carl Orffs „Antigone“ und noch einigen anderen Aufführungen im Prinzregententheater und den Kammerspielen. Und auch an der Fahrt nach Nürnberg zur Aufführung von Orffs „Der Mond“ und „die Kluge“ nahm ich teil.

Am 03.10.1952 heiratete ich in München den Direktor Prof. Franz Rau und zog zu ihm in die kleine Wohnung im Dachgeschoß der Villa Völk, die aus Wohnzimmer, Schlafzimmer, einem kleinen Gastzimmer und dem Badezimmer bestand, das – mit einem Brett über der Badewanne als Arbeitstisch (!) – auch als Küche dienen musste! Nach der Pensionierung meines Mannes im Jahr 1957 zogen wir nach München, und ich studierte dort an der Hochschule für Musik noch Schulmusik. Mitten in meinem Studium, kurz vor der Philosophie-Prüfung, starb im November 1959, völlig unerwartet nach einer harmlosen Magenoperation, mein Mann. Wegen meiner musikalischen Vorbildung konnte ich 1960 das Staatsexamen schon nach drei statt nach vier Studienjahren ablegen. Die Referendarjahre absolvierte ich am Wilhelms- und am Rupprechts-Gymnasium in München und war dann nach dem 2. Staatsexamen am Gymnasium in Mühldorf und seit 1963 am Pestalozzi-Gymnasium (Musisches Gymnasium) in München tätig, bis ich 1987 als Studiendirektorin in den Ruhestand ging.