Interview mit Johannes Wolf

Johannes Wolf berichtet über seine Studienzeit an der Hochschule für Musik Würzburg

Der Text stellt das Ergebnis eines Interviews am 14. Oktober 2020 dar.

Interview und Textredaktion: Silas Bischoff

SB: Was hat Sie zur Schulmusik geführt beziehungsweise überhaupt zu der Entscheidung, Musik zu studieren?

JW: Es war eigentlich mein Musiklehrer Klaus Dieter Stolper im Gymnasium, der mich dazu bewegt hat. Ich war zwar an keinem musischen Gymnasium, sondern in einem mathematisch-naturwissenschaftlichen, aber er war der Meinung, dass ich der Typ dazu sei. Als Jugendlicher hat man da ja eigentlich keinen Blick für sich selbst. Ich habe dann auch Klavierunterricht bei ihm genommen, um auf die Aufnahmeprüfung an der Würzburger Musikhochschule vorbereitet zu sein und letztendlich hat es tatsächlich geklappt.

Die Musikpädagogik hat mich schon damals interessiert. Ich wusste schon als Schüler oder Student, dass ich keine Künstlerkarriere einschlagen werde, dazu war ich zu schlecht. Aber ich habe ganz bewusst Schulmusik studiert, weil mich das Lehrerdasein und dadurch auch die Musikpädagogik interessiert haben.

SB: Gab es auch einen anderen Studienort, der für Sie in Frage kam?

JW: Nein. Ich habe 1976 angefangen, Musik zu studieren, also nur ganz knapp nach der Umwandlung des Staatskonservatoriums in eine Hochschule. Und da waren wir schon froh, dass in Würzburg überhaupt die Möglichkeit dazu bestand. Sonst hätte man ja nach München gehen müssen… Ich glaube, das hätte ich dann gar nicht gemacht. Ich war schon überzeugter Franke! (mit einem Augenzwinkern)

SB: Gab es auch die Überlegung, etwas ganz Anderes zu studieren?

JW: Ja, ich habe die Musik nicht als einzige Perspektive gesehen. Ich wurde von meinen Eltern – vor allem von meinem Vater – auch nicht gerade darin unterstützt. Der konnte sich gar nicht vorstellen, dass man mit der Musik an eine Hochschule geht. Und Lehrer konnte er sowieso nicht leiden… Ich habe dann noch einen Studienplatz für Elektrotechnik gehabt, war also schon breit aufgestellt. Nach dem Gymnasium habe ich sowieso fast zwei Jahre in einer Band gespielt; ich war am Anfang also gar nicht so hochschul- und studienaffin.

SB: Mit welcher Musikrichtung hat sich die Band beschäftigt?

JW: Das war eine Cover-Band, die die damals aktuelle Musik gespielt hat, also die 70er Jahre, ein bisschen Funk und Soul. Die Besetzung war recht groß: drei Bläser, eine große Rhythmusgruppe, Sänger und alle möglichen anderen noch…

SB: Blieb die Band während des Studiums bestehen?

JW: Nein, aber die Beschäftigung mit Popmusik blieb schon. Klar haben sich auch kleinere Bands im Studium gebildet, aber in erster Linie habe ich mich dafür eingesetzt, dass ein Unterrichtsangebot für Jazz- und Popmusik an der Hochschule eingerichtet wird. Ich habe erst vor Kurzem nachgeschaut, dass der erste Lehrauftrag, der in diesem Zusammenhang ausgeschrieben wurde, an Martin Schrack vergeben wurde, ein Jazzpianist aus dem Stuttgarter Bereich, der auch hier in Würzburg studiert hat. Das lief schon im Rahmen meiner Tätigkeit als Studierendenvertreter. Darauf haben wir immer wieder gedrungen, dass auch Angebote in diesem Bereich gemacht werden. Ab 1980 hatte er schließlich einen Lehrauftrag hier an der Hochschule.

SB: Das heißt, Sie waren maßgeblich daran beteiligt, dass die Jazzmusik an der Hochschule Fuß fassen konnte?

JW: Maßgeblich wäre übertrieben zu sagen. Es war eben der Zeitgeist, also das ganze Aufbrechen der Hochschule, sich auch für andere Formate im nichtklassischen Bereich zu öffnen. Das begann alles zu meiner Zeit als Student.

SB: Wie sah die Studiensituation an der Hochschule aus, zum Beispiel bezüglich der Übezeiten und Überäume oder bezüglich des Verhältnisses zwischen Kommilitonen und Lehrkräften?

JW: Ich glaube, dass die Übezeiten und Überäume an jeder Hochschule ein großes Problem darstellen. Das war bei uns nicht anders. Man muss sich vorstellen, dass das alles noch in der Hofstallstraße stattfand. Das Gebäude in der Bibrastraße existierte noch nicht, geschweige denn das Residenzgebäude. Es war alles etwas beengt und gedrängt. Aber das Klima unter den Studierenden war – natürlich auch ein bisschen zeitbedingt – schon sehr intensiv. Und soweit ich das mitbekommen habe, herrschte dank guter Beziehungen zum Lehrkörper eine sehr angenehme und schöne Atmosphäre.

SB: Das heißt, dass es immer wieder Feiern und gemeinsames Ausgehen gab?

JW: Ja, das gesellschaftliche Leben war schon intakt mit netten Abenden, großen Feiern, Hochschul-Fasching und allem Möglichen.

SB: Haben Sie als Studierendenvertreter da oft bei der Organisation mitgeholfen?

JW: Ja, aber das lief sozusagen nebenbei. Da gab es durchaus interessantere Projekte, über die ich berichten kann.

SB: Gerne! Vielleicht aber zunächst einmal zu Ihren Lehrern: Können Sie sich an prägende Persönlichkeiten erinnern?

JW: Da kann ich mich natürlich an meine Hauptfachlehrer erinnern. Ich hatte eine ganz tolle Pianistin als Klavierlehrerin, Kirsti Hjort. Sie ist leider sehr früh gestorben. Sie war wirklich ein phänomenaler Mensch als Lehrerin und auch in der künstlerischen Ausbildung unerreicht. Und dann war da noch Jörg Metzger, den ich immer noch gerne ab und zu treffe und mit dem ich eine gute Verbindung habe. Ihn habe ich auch sehr geschätzt. Es herrschte bei beiden immer eine tolle Atmosphäre, obwohl beide sehr unterschiedlich als Lehrer waren. Sie war liberaler, während er etwas strenger war, aber ich bin mit beiden wunderbar zurechtgekommen.

Außerdem war Franz Hennevogl ein sehr guter Lehrer für Musikpädagogik. Durch die Umstellung vom Staatskonservatorium zur Musikhochschule war die Musikpädagogik ja ein neues Fach und – vielleicht wieder dem Zeitgeist geschuldet – auch die Ansprüche an die Hochschulfächer hatten sich ausgeweitet. Man hat versucht, einen wissenschaftlichen Ansatz auch an den Kunsthochschulen durchzusetzen. Es gab große Änderungen auch im  Fach Musikpädagogik. Die Professoren stellten neue Konzepte auf, die sehr rege diskutiert wurden. Das war für mich schon eine spannende Situation. Ich weiß, dass das bis heute immer ein umstrittenes Thema ist, wie theoretisch Musikpädagogik sein darf. Ich war sehr interessiert daran, die Theorien und Philosophien, die dahinterstecken, kennenzulernen. Ich fand es sehr gut, dass das so intensiv an der Hochschule betrieben wurde.

SB: Haben Sie sich in diesem Bereich irgendetwas gewünscht? Hat Ihnen irgendetwas in diesem Fach gefehlt?

JW: Musikpädagogik ist ja bis heute in Theorie und Didaktik bzw. Unterrichtspraxis aufgeteilt. Die Praxisanteile, wie sie heute üblich sind, gab es zu meiner Zeit noch nicht. Es gab weder das Klassenmusizieren, noch gab es die betreuten Praktika in dem Maße, wie es sie heute gibt. Es war schon relativ unterbelichtet, was die Unterrichtspraxis oder Erfahrungen beim Unterrichten angeht, aber das ist auch der Zeit geschuldet. Das hat sich alles erst danach entwickelt.

SB: Das heißt, dass es gar keinen Probeunterricht an Schulen gab?

JW: Naja, das haben die meisten privat gemacht. Wenn du fertig warst, hast du versucht, in irgendeine Schule noch vor deiner Referendariatszeit reinzuschmecken. Damals war der Musiklehrermangel ja sehr groß, wodurch an vielen Schulen noch Musiklehrer gesucht wurden. So habe ich es schließlich auch gemacht. Ich habe teilweise neben meinem Studium schon ein paar Stunden an einer Schule gegeben.

SB: Wie war das in einer Zeit, bevor Musikpädagogik zu einem normalen Studienfach geworden ist. Wie haben Sie den Musikunterricht erlebt?

JW: Es war so, wie es bis heute ist: Jeder Versuch, den Praxisanteil auszuweiten, ist immer noch nicht groß genug, um das Gefühl zu vermitteln, dass man kompetent genug oder dem Einstieg in die Schule gleich von Anfang an gewachsen ist. Wobei es natürlich so ist, dass man das Gelernte in einem „Trial and Error“-Verfahren erstmal selbst ausprobieren muss. Man will sich – geleitet oder unter Betreuung – auch erstmal selbst entdecken, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen. Und ich denke, dass die Hochschule dahingehend auf einem guten Weg ist, das auszuweiten.

SB: Gab es in der Musikpädagogik Vorbilder, denen Sie gefolgt sind?

JW: Ja, es gab Anregungen aus anderen Hochschulen. Da fällt mir spontan Hermann Rauhe in Hamburg ein, der bis heute noch zumindest als Schirmherr tätig ist. Er entwickelte neue Ideen des Unterrichtens und hat auch Jazz- und Popmusik an der Hochschule etabliert. Es gab in der damaligen Zeit also schon den Versuch, das Fach neu zu denken. Es klingt zwar ein bisschen klischeehaft, aber das Singen und Spielen im Unterricht, das in den 50er und 60er Jahren noch verbindlich war, wurde dann massiv aufgebrochen. Man fing an darüber nachzudenken, dass Musik auch elementar mit dem Hören zu tun hat. Also wurde das Musikhören zu einem wichtigen Unterrichtsinhalt. Auch die Vielfalt der Unterrichtsmethoden spielte nun eine Rolle, sodass man vom ausschließlichen Frontalunterricht oder von einer Fixierung auf die klassische Musik oder dem Singen wegging.

SB: Spielte populäre Musik, Jazz oder Neue Musik eine Rolle im Studium?

JW: In Würzburg war die Situation besonders, denn zu meiner Zeit war der Komponist Bertold Hummel schon Vizepräsident; später ist er Präsident der Hochschule geworden. Daher war die Neue Musik in Würzburg sowieso immer gut aufgestellt. Auch Klaus Hinrich Stahmer war eine prägende Gestalt. Er war nicht nur in der Musikwissenschaft tätig, sondern eben auch als Komponist sehr präsent. Das Studio für Neue Musik war dafür ein großes Experimentierfeld, in dem man ganz viele Erfahrungen sammeln konnte. Und der Jazz ist im Laufe der Zeit schließlich auch dazugekommen bis hin zu dem Angebot, das heute an der Hochschule selbst existiert. Das hat sich gut entwickelt und ist für Würzburg einfach eine tolle Situation.

SB: Hatten Sie damals das Gefühl, dass das alles nur neben dem herkömmlichen klassischen Betrieb „nebenherläuft“ oder waren neue Musikformen und das Studio für Neue Musik gut eingegliedert?

JW: Gut, ich meine, dass Neue Musik schon durch ihre Anlage als neueste und avantgardistische Musik immer eine Speerspitze braucht, während der Mainstream natürlich erstmal nichts damit anfangen kann. Und so ist es in der Hochschule im Prinzip auch gewesen. Es waren eben Experimentierfelder, aber ich glaube, dass die Wertschätzung eigentlich immer da war; nicht unbedingt in der Hinsicht, dass immer alle zu den Konzerten gerannt sind, aber es war ein Bewusstsein dafür da, dass sie wichtig sind und die Entwicklungen in der Kunst eine Rolle spielen müssen.

SB: Wie war das Konzertleben an der Hochschule und in der Stadt Würzburg im Allgemeinen?

JW: Es ist schon so, dass das Konzertangebot heute viel größer ist, aber das kann man damals niemandem zum Vorwurf machen. Neben der Hochschule und den hochschuleigenen Konzerten waren das Theater und die freie Szene für so eine kleine Stadt ganz gut bestückt.

SB: Können Sie von Ihrer Tätigkeit als Studierendensprecher berichten? Welche Aufgaben haben Sie übernommen?

JW: Meine Tätigkeit als Studierendensprecher war geprägt von der Etablierung der Studentenschaft innerhalb der Hochschule. Man hat durch die Studierendenvertretung mehr Mitsprache bekommen, sodass die Studierenden mit ihren Ansichten und ihren Wünschen wahrgenommen wurden, das entsprach dem Zeitgeist. Als Studierendenvertreter haben wir beispielsweise immer dafür gekämpft, dass genügend Überäume zur Verfügung stehen. Das sah zum Beispiel so aus, dass wir bei großen Empfängen, bei denen auch Politiker anwesend waren, dafür sorgten, dass die Übesituation immer ein Thema war. Ich weiß nicht, ob wir da eine große Rolle gespielt haben, aber man hat schließlich den zweiten Standort in der Bibrastraße gegründet und später kam noch das Residenzgebäude hinzu. Da hat sich in Würzburg viel getan.

Was ich auch als Studierendensprecher vorangetrieben habe, war die Vernetzung mit anderen Hochschulen, und zwar nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland. Ich war auf vielen Kongressen, bei denen wir versuchten, uns in verschiedenen Sitzungen aller Studierendenvertretungen der deutschen Musikhochschulen auszutauschen. Es war der Versuch, auch andere Richtungen und Befindlichkeiten kennenzulernen. Das war mir ein großes Anliegen.

Auch Innerhalb Würzburgs habe ich versucht, interdisziplinären Kontakt herzustellen. Wir haben enge Verbindungen zur Fachhochschule für Gestaltung geknüpft und versuchten, gemeinsame künstlerische Projekte auf die Beine zu stellen. Es gab zum Beispiel einen Kultur- und Kunstladen in Grombühl, der Bazillus hieß. Das war offiziell natürlich keine Hochschuleinrichtung, aber es waren sehr viele engagierte Studierende da, die avantgardistische Künstler einluden oder Performances veranstalteten, die damals als künstlerisches Format noch neu waren. Als Studierendenvertreter war ich auch in engem Kontakt zum Studierendenwerk, vorwiegend wegen sozialer Angelegenheiten wie dem BAföG, der Wohnsituation von Studierenden und so weiter. Wir haben schließlich durchgesetzt, dass wir für die Hochschule einen kleinen Veranstaltungsraum im Studierendenwerk bekommen. Das war der sogenannte „Kulturkeller“, der sich unter der Mensa befand, allerdings nicht unter der großen Mensa, sondern unter der Burse. Den gibt es heute auch noch unter dem Namen "Kellerperle". Und dort haben wir von der Studierendenvertretung Konzerte veranstaltet, zunächst ganz klassisch, meist wurden dort Prüfungs- oder Konzertprogramme vorgestellt. Aber es lief auch ganz viel in Kooperation mit Studentinnen und Studenten der Fachhochschule für Gestaltung, die musikalisch sehr interessiert waren und ihre Formate mitgebracht haben. Dann kommt noch dazu, dass die 80er Jahre, in denen das alles losging, musikalisch eine wilde Zeit waren. Das war der Beginn des Punks zumindest in Deutschland, der hier eine ganz neue Musikrichtung war. Wir haben viele Bands nach Würzburg eingeladen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: In Würzburg hat 1980/81 Einstürzende Neubauten gespielt, die Punk-Kultband aus Berlin. Kennt heute auch kein Mensch mehr… Aber das war damals die angesagte deutsche Band überhaupt.

Dann gab es ganz viele Veranstaltungen aus dem literarischen Bereich und eben Ausstellungen von der Fachhochschule, auch Filme sind dort gelaufen. Der "Kulturkeller" war also einer der interessantesten Orte der Kulturszene Würzburgs. Das Angebot war reichhaltig; es ist auf unsere Initiative als Studierendenvertreter hin entstanden.

SB: Wie setzte sich dort das Publikum zusammen? Waren es hauptsächlich Studierende der Musikhochschule oder kamen auch andere Leute?

JW: Es waren von der Hochschule gar nicht so furchtbar viele, eben nur diejenigen, die interessiert waren. Von der Fachhochschule waren ziemlich viele da, natürlich auch abhängig von den angebotenen Formaten. Aber es kam die ganze Studentenschaft Würzburgs. Würzburg ist ja eine große Studentenstadt und die Studierenden haben ziemlich schnell mitbekommen, dass dort interessante Sachen ablaufen. Mit dem Publikum hatten wir eigentlich nie Schwierigkeiten.

SB: War auch älteres Publikum anwesend?

JW: Ja, durch die Ausstellungen wurde das durchaus auch in der offiziellen Kunstszene wahrgenommen.

SB: Können Sie sich an große künstlerische Projekte erinnern?

JW: Eine Veranstaltung bemühte sich um die Verknüpfung der interdisziplinären Ansätze und war zugleich der Versuch, die Studierendenvertretungen von anderen Hochschulen untereinander zu vernetzen. Das mündete im Juli 1980 in ein Multimedia-Festival, das in der Hofstallstraße abgehalten wurde. Die ganze Hochschule wurde mit den unterschiedlichsten Formaten bespielt, angefangen von klassischen Konzerten, weiter über die Aufführung Neuer Musik bis hin zu teilweise verrückten Performances. Über ein volles Wochenende ist dafür die ganze Hochschule genutzt worden, teilweise zum Entsetzen der Hausmeister und der Hochschulleitung, weil sich doch viele Sachen spontan ergeben haben. Es war eine äußerst lebendige Situation, bei der die Hochschule mal über ihren Tellerrand hinaus geschaut hat.

SB: Das Multimedia-Festival muss beeindruckend gewesen sein, denn Ihre Kollegin Beate Carl kam in ihrem Interview darauf zu sprechen.[1]

Wie ging es bei Ihnen weiter und wie verlief der Berufseinstieg?

JW: Nach meinem Examen habe ich noch zwei Jahre quasi als Studium Universale weiter studiert, habe Psychologie, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft weiterhin betrieben und war dann im Berufseinsatz an ganz unterschiedlichen Schulen in verschiedenen Städten. Zudem habe ich in meinem Heimatort Aub am Main schon in den 90er Jahren gemeinsam mit Christoph Wünsch die Initiative "Ars Musica" gegründet, die lustigerweise auch einem Ansatz aus dem Studium entstammte. Wir versuchten ein Tagungs- beziehungsweise Fortbildungshaus zu gründen, in dem eine Klasse für sich allein sein kann und nicht, wie in großen Tagungszentren üblich, fünf oder sechs Gruppen gleichzeitig vor Ort sind und sich alle um den großen Saal streiten. Das Haus sollte komplett für eine Klasse zur Verfügung stehen. Leider haben wir unterschätzt, dass das wirtschaftlich eine äußerst heikle Angelegenheit ist. Aber wir veranstalten jetzt ganz viele Konzerte in unserem kleinen Konzertsaal, bei bis heute immer wieder Studierende vor allem aus Würzburg auftreten. Das finde ich ganz toll!

SB: Das finde ich auch gut. Aus eigener Erfahrung habe ich schon erlebt, wie schön die Kulturszene in Aub und wie aufgeschlossen das Publikum dort ist.

JW: Na gut, das klingt vielleicht etwas überheblich, aber ich habe mein Musiklehrerdasein schon immer nicht nur auf die Schule bezogen verstanden, sondern ich denke, dass man als Musiklehrer auch eine Aufgabe im öffentlichen Raum hat. Man sollte wenigstens versuchen, die Kunst und die Musik in verschiedenen Formaten hochzuhalten.

SB: Hatten Sie das Gefühl, dass das gut geklappt hat mit dem, was Sie vom Studium mitnehmen konnten?

JW: Ja doch, das Schulmusikstudium als solches ist eines der faszinierendsten, die es überhaupt gibt. Man wird dermaßen breit ausgebildet und kann so viele eigene Schwerpunkte setzen.

SB: Wie verlief das Schulmusikstudium? War man relativ frei in dem, was man wählen konnte?

JW: Bei Schulmusik war die Instrumentenwahl damals nicht so frei wie heute. Klavier war noch absolutes Pflichtfach und man musste, soweit ich mich erinnern kann, ein Streichinstrument belegen.

SB: War im Studium die Möglichkeit gegeben, über den Tellerrand hinauszuschauen und beispielsweise Vorlesungen an der Uni zu besuchen?

JW: Ja, es war von Anfang an eine geniale Konstruktion in Würzburg, dass man gleichzeitig als Schulmusikstudent Musikwissenschaft studiert hat. Das war vielleicht nicht bei allen beliebt, aber ich fand diese Kombination immer sehr bereichernd. Auf der einen Seite hat man einen richtig wissenschaftlich orientierten Einstieg in ein Fach bekommen, auf der anderen Seite konnte man an der Hochschule seine künstlerischen Fächer intensiv studieren. Das ist eine sehr gute Kooperation gewesen und durch die Universität gibt es in Würzburg ja alles, Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte… Ich weiß auch, dass die Zeit dafür eigentlich immer fehlt, aber auf der anderen Seite sollte man die vielen Angebote sehen. Das ist schon wirklich eine privilegierte Situation.

SB: Hatten Sie im Studium einen Repertoireschwerpunkt, einen bestimmten Komponisten oder ein wissenschaftliches Thema, mit dem Sie sich besonders beschäftigt haben?

JW: Der Jazz hat mich schon immer sehr interessiert, auch die Popmusik, weil ich eben aus dieser Szene kam. Dennoch habe ich mehr klassisches Klavier gespielt. Als Studierendenvertreter haben wir trotzdem versucht, das Lehrangebot zu erweitern. Es gibt ja durchaus Überlappungen zwischen Jazz und Neuer Musik und man kann beispielsweise parallele Entwicklungen und ähnliche Prozesse beim Free Jazz und der aleatorischen Musik erkennen. Ich fand schon sehr spannend, dass sich das dann irgendwann in der Hochschule niedergeschlagen hat und dafür war Würzburg ein sehr gutes und offenes Pflaster. Man sieht ja, was jetzt daraus geworden ist. Die Jazzabteilung ist ohne Frage einfach ein selbstverständlicher Bestandteil der Hochschulausbildung. Das war bei uns noch nicht der Fall. Das ist gut gelaufen.

SB: Können Sie sich noch an die Aufnahmeprüfung erinnern?

JW: Ja, die war sportlich. In meinem Jahrgang waren, glaube ich, 120 Bewerber und 15, 16 oder 17 davon wurden genommen. Du sammelt Erfahrungen und merkst eben, dass viele andere gleichzeitig auch sehr gut sind und nicht nur du allein.

SB: Und wie waren die Prüfungen in der Hochschule so gestrickt?

JW: Da hat sich sicher auch einiges geändert. Diese ganzen unterschiedlichen Prüfungen zu verschiedenen Zeitpunkten, die es jetzt gibt, kamen erst mit der Studienreform. Das heißt, dass man damals eine Aufnahmeprüfung, eine Zwischenprüfung und schließlich das Examen gemacht hat. Dazwischen war praktisch nichts. Es gab keine sonstigen Prüfungssituationen außer die, die du dir selbst gesucht hast, wenn du zum Beispiel einen Vorspielabend mit der Klasse gemacht hast oder Ähnliches. Das hat alles Vor- und Nachteile. Als Lehrer an einem Gymnasium sehe ich es so, dass dieses ständige „Abprüfen“ nicht unbedingt der richtige Weg ist, wenn also Schüler ununterbrochen irgendwelche Prüfungen schreiben müssen. Kinder verfallen dann in das typische „Bulimie-Lernen“, auch wird ständig alles andere durch den Prüfungsstress überlagert. Gut, das führt vielleicht zu weit und ist auch zu unreflektiert gesprochen… Das war bei uns eben angenehm beziehungsweise ich habe es als angenehm empfunden. Man wusste genau, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt fit sein muss und konnte die Vorbereitung sehr konzentriert betreiben.

SB: Hatten Sie im Studium oft die Möglichkeit gehabt, öffentlich aufzutreten?

JW: Als Solist so gut wie nie, aber in Ensembles zu spielen, fand ich schon immer sehr faszinierend. Obwohl ich nur Nebenfachcellist war, war ich immer sehr hinterher, dass ich im Orchester mitspielen durfte. Ich glaube, dass das heutzutage gar nicht mehr geht – da würde gesagt werden, dass man einfach zu schlecht ist –, aber damals bestand noch die Möglichkeit dazu, dass man sich hinten im Orchester an ein Pult setzen durfte, wenn man seine Sachen geübt hat. Ich habe es total genossen, dass ich auch bei einer großen Symphonie mitspielen konnte. Das sind wirklich nachhaltige Erlebnisse.

SB: Ist Ihnen ein Projekt, ein Werk oder auch ein Dirigent besonders im Gedächtnis geblieben?

JW: Der Orchesterleiter zu meiner Zeit war Hermann Dechant, unter dem ich etliche Werke gespielt habe. Es war schon ein großes Erlebnis, bei einer Mahler- oder Dvorak-Symphonie mitzuspielen.

SB: Haben Sie auch im Hochschulchor mitgesungen?

JW: Ja, das war auch toll. Schon mein Musiklehrer im Gymnasium hatte einen sehr guten Chor geleitet; wir sangen Bach rauf und runter, sämtliche Oratorien, obwohl ich ein absolutes Provinz-Gymnasium besuchte. Das Singen war also quasi mein Zugang zur Musik. Ich war immer ein begeisterter Sänger, war schließlich im Hochschulchor und auch im Bach-Chor. Singen ist einfach eine der schönsten musikalischen Ausübungsformen, finde ich.

SB: Haben Sie einen Ratschlag an angehende Musikpädagogen?

JW: Alle Pädagogen müssen Kinder lieben. Das klingt zwar ein bisschen altmodisch und komisch, aber ich glaube, dass das leider bei manchen Lehrern meiner Erfahrung nach fehlt; oder vielleicht nicht fehlt, aber abhandenkommt. Der Respekt vor den Kindern und die Wertschätzung ihnen gegenüber, zu versuchen, dass das Kind eigentlich der Maßstab ist und nicht die eigene Person oder das eigene Fach, das kommt in unserer Schule viel zu kurz. Die Ausprägung einer Persönlichkeit gelingt nur, wenn sie sich aufgehoben, geborgen und wertgeschätzt fühlt. Das passiert in der Schule viel zu selten.

SB: Das ist jetzt zwar ein anderes Thema, aber hatten Sie das Gefühl, dass dieser Respekt an der Hochschule von Autoritätsperson zu Studierendem vorhanden war oder sahen die Lehrkräfte doch eher von oben herab?

JW: Das ist natürlich schon eine Zeitsache. Man muss sich vorstellen, dass die Lehrer, die ich als Zwanzigjähriger kennengelernt habe, teilweise schon 60 Jahre alt waren. Das ist wirklich ein anderes Jahrhundert gewesen. Die späten 70er Jahre waren vielleicht weniger krass aufgeladen wie die 60er Jahre, aber ich habe es schon als Schüler so empfunden, dass die ganzen emanzipatorischen Errungenschaften langsam in die Institutionen einwanderten und dass man sich natürlich darum kümmern muss und keinem Konflikt aus dem Wege gehen sollte. Unter der älteren Generation gab es sehr wohl verbiesterte Menschen, die versucht haben, an dem Bisherigen festzuhalten. Da gab es unter Umständen auch Streit und wenig Anerkennung, aber es gab immer auch sehr viele, die versucht haben, ein offenes Klima herzustellen. Die waren an der Hochschule in Würzburg schon eindeutig in der Überzahl. Auch wenn Studierende Dinge entsprechend jugendlich und stürmisch eingefordert haben, gab es immer eine große Offenheit und man hat den Studierenden – vielleicht nicht unbedingt ganz freiwillig – Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt.

SB: Das haben Sie als Studierendensprecher bestimmt direkt mitbekommen und genutzt, oder?

JW: Auf alle Fälle! Ich war oft Ansprechpartner für manche Sorgen und Nöte. Wie gesagt musste man seinen Kopf stets hochhalten. Wenn man nichts gesagt hat, ist auch nichts passiert. Man musste sich schon melden. Immerhin waren wir Teil des Senats und speziell in Würzburg durch die Neukonstitution als Hochschule bestanden neue Chancen.

SB: Gab es zu irgendeinem Zeitpunkt eine Diskussion, ein Thema oder ein Missverhältnis, das für besondere Furore gesorgt hat oder zu einer Diskrepanz zwischen der Studentenschaft und der Hochschulleitung führte?

JW: Vielleicht liegt es an der Schönfärberei des Zurückerinnerns, aber da kann ich mich an nichts erinnern.

SB: Wie kamen Sie überhaupt zu dieser Tätigkeit?

JW: Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber damals übernahmen die Schulmusiker sowieso immer mehr derartige Aufgaben. Die Anderen waren eben mit ihrer künstlerischen Ausbildung und der ganzen „Überei“ beschäftigt und wir waren ein äußerst diskussionsfreudiges Seminar. Es bestand ein intensiver Zusammenhalt in unserer Generation und man hat sich auch selbst untereinander entsprechend gestritten und darum gerungen, irgendetwas vorwärts zu bringen. Insofern war es für uns ein normaler Vorgang, den Mund aufzumachen und massiv eine eigene Position zu vertreten. Das hat dann dazu geführt, dass es auch von der Hochschule wahrgenommen wurde. Die Schulmusiker waren immer sehr gut in den Studierendenvertretungen präsent.

SB: Hat die Tätigkeit als Studierendensprecher viel Zeit in Anspruch genommen?

JW: Ja, das kann man schon sagen. Aber auch als engagierter Lehrer und kulturell ehrenamtlich Tätiger trennt man ja nicht mehr zwischen Freizeit und Dienst, es wird einfach Bestandteil des Lebens.


[1] Vgl. Interview Beate Carl