Interview mit Ursula und Prof. Werner Berndsen

über ihre Zeit am Staatskonservatorium der Musik Würzburg

Vorbemerkung: Es handelt sich um die gekürzte Fassung eines am 6. August 2014 geführten Interviews. Die Fragen stellte Christoph Henzel.

CH: Bevor Sie, Herr Prof. Berndsen, 1959 nach Würzburg gekommen sind, waren Sie viele Jahre in verschiedenen Orchestern aktiv.[1] Warum haben Sie sich vom Orchester verabschiedet, um an ein Lehrinstitut zu gehen?

WB: Das geschah mehr oder weniger auf Anregung meines Nachbarn im RIAS-Symphonie-Orchester Berlin (ab 1956 Radio-Symphonie-Orchester), dem Oboisten Kurt Hausmann, der, weil er aus Erlangen stammte, schon 1950 aus dem Orchester weg gegangen ist und mich überzeugt hat, auch hierher nach Würzburg zu kommen. Ich war zwar erst 39, aber man hat da schon seine Befürchtungen, dass es im Orchester irgendwann auch aufhört mit zunehmendem Alter. Es war auch nicht unbedingt eine finanzielle Verbesserung. Manchmal habe ich diese Entscheidung bereut, weil das Orchester ein Weltorchester war und wir mit vielen großen Dirigenten wie Ferenc Fricsay, Sergiu Celibidache, Karl Böhm und Lorin Maazel zusammengearbeitet haben.

CH: Wenn Sie es manchmal bereut haben, lag das an den Schülern, die Sie hatten, oder an den vielen Unterrichtsstunden?

WB: Hauptsächlich an der Qualität der Musik. Denn das, was wir hier mit Direktor Hanns Reinartz gemacht haben, kann man natürlich nicht mit dem, was ich in Berlin erleben durfte, vergleichen.

CH: Aber Sie konnten sich doch sicherlich noch neben Ihrer Unterrichtstätigkeit als Künstler profilieren?

WB: Ja, ich habe mehrmals in Bayreuth gespielt und auch mit dem Bach-Chor in München. Beim Mozartfest hier bin ich fünfmal mit den Flötenkonzerten KV 299, 313 und 314 als Solist aufgetreten.[2]

CH: Hatten Sie vor Ihrer Bewerbung in Würzburg schon pädagogische Erfahrungen? Hatten Sie eine Leidenschaft fürs Unterrichten entwickelt?

WB: In Berlin hatte ich bereits am Städtischen Konservatorium unterrichtet, als Hans Joachim Moser dort Direktor war.

CH: War es eine Selbstverständlichkeit als Orchestermusiker nebenher zu unterrichten?

WB: Ja, das haben alle gemacht. Nicht unbedingt wegen des Geldes – nein, wir Profis verfügen einfach über die beste Eignung dafür, denn welcher Laie, der Flöte spielt, kann Schüler erziehen?

CH: Haben Sie im Laufe Ihres Studiums einen pädagogischen Unterricht gehabt?

WB: Nein, darin bin ich nicht unterrichtet worden. Ich habe einfach das weitergegeben, was mein Lehrer mit mir gemacht hat.

CH: Und wie sind Sie da beim Unterrichten vorgegangen?

WB: Ich wurde mal gefragt, wie man vom Blatt spielen kann. Da habe ich erklärt, dass das eine Frage der Intelligenz sei. Weil alle Musik aus Tonfolgen, Ausschnitten aus Akkorden und Tonleitern zusammengesetzt ist, und wenn man die alle drauf hat, braucht man sie nur abzurufen, wenn man sie täglich übt. Meine Schüler habe ich immer zuerst langsam und dann schnell Tonleitern und anschließend Akkorde spielen lassen. Wenn dann etwas Schwieriges etwa in fis-Moll kommt, dann braucht man das, was man mit den Tonleitern und Akkorden geübt hat, nur abzurufen beim Blattspiel.

CH: Gab es bestimmte Lehrwerke, auf die Sie zurückgegriffen haben?

WB: Da gab es die einschlägigen Schulen und Übungsstücke von Theobald Böhm, Ernesto Köhler, Joachim Andersen und Sigfrid Karg-Elert, außerdem die neuzeitlichen Etüden von den Amerikanern.

CH: Häufig war es in den 50er Jahren hier in Würzburg so, dass die Lehrer auch noch andere Fächer unterrichtet haben. Haben Sie nur Flöte unterrichtet?

WB: Ich habe auch Klavier unterrichtet, aber da waren natürlich keine Hauptfachstudenten dabei. Das waren aber schon an die zehn Stunden. Bei den Flötisten hatte ich dagegen nur Hauptfachstudenten, aber auch viele Hospitanten. Das waren Liebhaber, die nur Unterricht haben wollten. Die hatten auch keine Nebenfächer. Da waren auch ziemlich unbegabte und unmusikalische Schüler dabei, aber wir mussten die nehmen, damit die Schülerzahl höher wurde. Schließlich haben die ja dafür bezahlt.

CH: Können Sie etwas zum Kollegium erzählen? Wie sind Sie empfangen worden?

WB: Sehr freundlich. Man hat sich regelmäßig getroffen. Wenn einer Geburtstag hatte, wurde das gefeiert und er bekam einen „Fresskorb“ vom Kollegium.

CH: Haben sie zusammen musiziert?

WB: Es gab Kammermusikkonzerte der Dozenten. Vor allem bei den Mozartfesten waren wir Lehrer immer beteiligt. Mit dem Kollegen Flackus war ich richtig befreundet. Wenn ich krank war, kam er zu mir nach Veitshöchheim und hat meinen Hund ausgeführt.

CH: Wie war Ihr Verhältnis zum Direktor?

WB: Zu Hanns Reinartz sehr gut. Später war ich mit ihm auch per Du. Er hat alles blind unterstützt, was ich vorgeschlagen habe und mich einfach machen lassen. Er war zwar ein ziemlich herrischer Mensch, aber er hat sich auch sehr für das Konservatorium engagiert, besonders später beim Übergang zur Hochschule. Er selbst hat gesagt, dass er kein besonders guter Dirigent sei, sonst wäre er in Aachen geblieben, von wo aus er nach Würzburg gekommen war. Als Direktor des Konservatoriums bzw. der Hochschule war er ideal. Er hat erreicht, dass das neue Gebäude in der Hofstallstraße gebaut wurde.

CH: Ein Gebiet, auf dem Ihnen der Direktor freie Hand ließ, war das Tonstudio. Wie kam es dazu, dass Sie sich dafür so eingesetzt haben?

WB: Mein Vater war Ingenieur, ich bin also technisch vorbelastet gewesen. Und in Leipzig hatte ich einen Freund, Heinz Rockstroh, der sein Trio für Flöte, Klarinette und Fagott op. 1 auf Schallplatte aufnehmen wollte. Das übernahm Werner Rustin Leipzig, der ein selbständiger Geschäftsmann war und ein „Funktechnisches Laboratorium“ unterhielt. Er machte hauptsächlich Schallplattenaufnahmen für private Kunden. Das interessierte mich und ich lernte von ihm, wie man das macht. Ich habe viele Aufnahmen gemacht, bei denen ich selbst als Flötist mitgewirkt habe. Ich habe mir damals ein Schallplattenschneidegerät gekauft und damit mehrere Platten hergestellt. Zunächst waren es gelbe Gelatinefolien, später dann Decelith-Platten, die aus einem schwarzen Kunststoff bestanden. Viel später habe ich diese dann digitalisiert und auf CDs übertragen. Als das Tonstudio der Hochschule gegründet wurde und die finanziellen Mittel vom Staat zur Verfügung gestellt wurden, haben mir meine Kenntnisse sehr geholfen bei der Anschaffung der Ausrüstung. Ich habe dann sämtliche Konzerte auf Tonband mitgeschnitten und auch sonst auf Anfrage hin Aufnahmen mit Kollegen oder mit deren Schülern gemacht.

CH: Standen Sie damit in der Hochschule alleine da? Wurden Sie belächelt?

WB: Im Gegenteil! Die Kollegen kommen heute noch und wollen Kopien von den alten Bändern haben – natürlich digitalisiert und auf CD. Ich habe ja stets die technischen Entwicklungen und Neuerungen mitverfolgt von den Schallplatten über die Tonbänder bis zu den CDs und DVDs, vom analogen zum digitalen Zeitalter. 1982 bin ich in Pension gegangen, aber das Tonstudio habe ich danach noch sieben Jahre betreut, bis Herr Rummel eingestellt wurde. Im Archiv befinden sich noch die meisten meiner Aufnahmen.

CH: Wie standen Sie zum Aufbau der Abteilung für Alte Musik?

WB: Ich hatte eigentlich nichts damit zu tun und habe auch nie Traversflöte oder Blockflöte gespielt. Nach der Gründung der Abteilung 1967 durch den Gambisten Josef Ulsamer und seine Frau Elza van der Ven, die Cembalistin war, wurde als Lehrer für die Traversflöte Bernhard Böhm aus Karlsruhe berufen. Wir haben uns immer gut verstanden. Meine letzte Aufnahme für den Rundfunk hier waren drei Bachsonaten, die ich natürlich auf der modernen Flöte gespielt habe. Da saß der Kollege Ulsamer unten im Studio und hat ausgesteuert.

CH: Hat sich für Sie etwas durch die Umwandlung des Konservatoriums zur Hochschule geändert?

WB: Nein, weder im Hinblick auf meine Unterrichtsmethode noch in Bezug auf die Unterrichtsbedingungen. Nach dem Umzug in den Neubau in der Hofstallstraße hatte jeder seinen eigenen Raum und sein eigenes Klavier. Und die Hospitanten gab es nach wie vor.

CH: Sie, Frau Berndsen, waren eine davon. Wie sind Sie zur Musik und später an das Staatskonservatorium gekommen?

UB: Ich wollte immer ein Instrument spielen. Wie ich aber auf die Querflöte gekommen bin, weiß ich nicht mehr so genau, wahrscheinlich weil ich das Instrument einfach gern mochte. Nach dem Abitur war ich ein Jahr in England und bin danach nach Würzburg zum Studium gekommen. Hier habe ich beim Konservatorium nachgefragt, ob es eine Möglichkeit für eine Anfängerin gibt, Unterricht zu erhalten. Nachdem ich zuerst zeigen musste, dass ich einen Ton aus dem Instrument herausbekam, was auch sofort funktioniert hat, bin ich ab Juni 1961 einmal in der Woche zum Unterricht gekommen. Es gab dann später eine kurze Unterbrechung, da ich als evangelische Christin in Würzburg nicht das Staatsexamen für Grundschullehramt ablegen konnte. Da musste ich nach Nürnberg gehen, aber danach hatte ich wieder Unterricht hier in Würzburg bei meinem zukünftigen Mann.

CH: Hatten Sie als Hospitantin auch Kontakt zu anderen Studenten und haben Sie viel vom Konservatoriumsleben mitbekommen?

UB: Ich hatte als Hospitant keinen Kontakt zu den Anderen und ich habe auch nicht viel vom Innenleben des Staatskonservatoriums mitbekommen. Das hat mich auch nicht interessiert, ich hatte ja das Studium an der Universität zu bewältigen. Ich bin nur zum Unterricht gegangen und habe geübt.

CH: Wissen Sie noch, wie viel Sie am Tag geübt haben?

UB: Bestimmt nicht länger als eine Stunde.

WB (Einwurf): Da gibt es auch bei den Profis Unterschiede. Bei den Wiener Philharmonikern gab es einen Flötisten, der seine Flöte nur für die Proben und Konzerte ausgepackt hat, ansonsten lag sie in seinem Spind. Auf der anderen Seite hatte ich bei der Staatskapelle Dresden einen Freund, der hat jeden Abend drei Stunden geübt. Er meinte, dass ihm andernfalls der Ansatz verlorengehen würde.

UB: Jedenfalls habe ich auch nur gelegentlich bei den Vorspielabenden zugehört. Ich habe mich aber nie daran beteiligt.

CH: Wie haben Sie als Studierende das kulturelle Leben in Würzburg erlebt?

UB: Es war vor allem eine Frage des Geldes, was man besuchen und erleben konnte. Gelegentlich war ich im Theater oder in der Oper. Allerdings war ich Mitglied im Bachchor und da habe ich bis Anfang der 90er Jahre alles mitgemacht und mitbekommen.

CH: Zurück zu Ihrem Unterricht, Herr Prof. Berndsen. Welche Rolle hat die moderne Musik darin gespielt?

WB: Ich habe mich immer für moderne Flötenkompositionen interessiert, denn darin werden Klänge verwendet, die in klassischer oder romantischer Musik nicht vorkommen, z.B. Flageoletttöne, Doppeltöne und Klappengeräusche, wie etwa in Luciano Berios Sequenza. Darin ist der Rhythmus graphisch dargestellt. Berio verlangt, dass er präzise eingehalten wird. Das realisieren die wenigsten Kollegen. Ich habe deshalb versucht, die graphische Notation in die „normale“ umzuschreiben. Die Beschäftigung damit habe ich von meinen Schülern verlangt. Und ich habe auch einmal einen Abend nur mit moderner Musik für Flöte gegeben. 1971 hat Bertold Hummel für mich ein Stück komponiert: YUME für Soloflöte und Flötenklänge. Nachdem er aus Freiburg hergekommen war, haben wir uns rasch angefreundet. Das ergab sich ganz zwanglos, weil er von sich manchmal etwas von mir aufnehmen ließ. Da hat er sich dann zu mir ins Studio gesetzt, zugehört und so sind wir ins Gespräch gekommen.

CH: Zum Schluss noch eine Frage: Gab es etwas, das Sie nicht schön fanden in Ihrer Zeit hier?

WB: Nein, mir hat alles gefallen. Ich habe mich sehr wohl gefühlt.

Redaktion: Marc Deml und Christoph Henzel

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Fußnoten

  1. ^ Okt. 1945 bis März 1946 Städtisches Orchester Magdeburg, April bis Juli 1946 Anhalt. Landestheater Dessau, August 1946 bis Januar 1948 Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig, Februar 1948 bis März 1949 Berliner Philharmonisches Orchester, Mai 1949 bis Januar 1959 RIAS- bzw. Radio-Symphonie-Orchester Berlin.
  2. ^ Anhand der bis 1967 erschienenen Jahresberichte des Bayerischen Staatskonservatoriums der Musik Würzburg ließen sich zwei Auftritte feststellen: 22.6.1959 (KV 314) u. 21.6.1962 (KV 313).