Ilse Singer

über ihre Tätigkeit in der Verwaltung am Staatskonservatorium der Musik Würzburg ab den 1960er-Jahren

Vorbemerkung: Es handelt sich um die Niederschrift eines am 9. Mai 2014 geführten Gesprächs, die nachträglich noch ergänzt wurde. Die Fragen stellte Christoph Henzel.

CH: Kommen Sie aus einer Musikerfamilie?

IS: Ja, mein Vater hatte in Nürnberg Musik studiert und war während des Kriegs Militärmusiker. Während dieser Zeit war er auch am Staatskonservatorium Würzburg eingeschrieben, weil er als Militärmusiker auch noch Fagott lernen musste. Schon vor dem Krieg musste er von seinem Vater aus eine Ausbildung machen und wurde Schriftsetzer, was er auch nach dem Krieg als Beruf ausgeübt hat. Nur nebenbei hat er Musik gemacht, zum Beispiel im Dom, im Städtischen Orchester als Aushilfe und in einer Band, die oft in amerikanischen Clubs gespielt hat.

Ich selbst habe zunächst Klavier gelernt und dann mit Saxophon weiter gemacht. Ich habe dann auch in einer Band gespielt. Nachdem ich damit angefangen hatte, wollte ich meine Saxophon-Kenntnisse verbessern und meldete mich zur Eignungsprüfung an. Mein Klavierlehrer hat mich perfekt darauf vorbereitet, einschließlich des geforderten zweiten Instruments, für das ich Blockflöte ausgewählt hatte. Theorie und Gesang waren für mich auch kein Problem, da Musik in der Schule zu meinen Lieblingsfächern gehörte. So begann ich nach bestandener Prüfung am 1. März 1968 bei Prof. Ernst Flackus zu studieren. Im Wintersemester 1968/69 wechselte ich zur Klarinette, die ich auch zu Hause von meinem Vater hatte. Bis zum 22. Juli 1970 blieb ich dabei.

CH: Warum haben Sie aufgehört?

IS: Ein Vollstudium ließ sich mit meinem Beruf nicht vereinbaren. Meine eigentliche Arbeit im Sekretariat war schon recht zeitaufwändig, und ich musste mich immer sehr abhetzen, um rechtzeitig zu meinem Unterricht zu kommen, der um 17.00 Uhr begann. Das kostete viel Kraft, weil keine Pause dazwischen lag – und üben musste ich ja auch noch zuhause! Außerdem hatte ich noch zweimal in der Woche abends Probe mit der Band und dann belegte ich noch einen Intensiv-Abendkurs für Französisch an einer Würzburger Sprachenschule. Das ging so lange gut, bis ich die Französisch-Lehrerin mit einem kleinen Kreislaufkollaps erschreckte! Da entschloss ich mich, den Klarinettenunterricht zu beenden, war aber noch einige Male als Saxophonistin im Orchester beschäftigt. So spielte ich beim Bolero, bei Bilder einer Ausstellung und bei der Háry János Suite mit. Einmal habe ich auch das 2. Bassetthorn gespielt beim Mozart-Requiem während der Ansbacher Bachtage. Das war sehr aufregend!

Problematisch waren für mich vor allem die Generalproben, die am Vormittag während der Dienstzeit stattfanden… Wie man aus der angefügten Kostenrechnung ersehen kann, waren damals für das Studium auch Gebühren fällig, die in der Relation zu meinem damaligen Monatsgehalt (ca. 600 DM) gar nicht so niedrig waren.

Zum Unterricht bei Prof. Flackus muss ich noch eine lustige Geschichte erzählen: Flackus hatte einen großen Königspudel, der aus der Zucht von Herrn Leonhardt (ein früherer Lehrer am Staatskonservatorium) stammte. Er brachte ihn zum Unterricht mit, da lag er meistens hinter dem dicken schallschluckenden Vorhang im Zimmer und schlief. Wenn ich einen „Kiekston“ fabrizierte, knurrte er!

CH: Und was wurde aus Ihrer Band?

IS: In der Band habe ich zehn Jahre gespielt. Wir sind sehr oft an den Wochenenden zu Auftritten weit gefahren, und es kam auch schon mal vor, dass wir von Sonntag auf Montag erst sehr früh nach Hause gekommen sind. Das Schlafdefizit habe ich dann schon gemerkt… Dieser Stress war auch der Hauptgrund für mich, damit aufzuhören.

Als ich in der Band anfing, informierte ich Herrn Reinartz darüber, der das für gut geheißen hat. Ich war sehr froh, dass ich das getan hatte, weil ich kurze Zeit später mit dem Verwaltungsleiter Schwierigkeiten bekam, der das hauptsächlich als bezahlte und nicht genehmigte Nebentätigkeit sah. Reinartz’ Einverständnis hat mir da sehr geholfen!

Meine erste „musikalische Nebentätigkeit“ bestand aber übrigens darin, dass ich Mitglied des Chores Camerata vocale Würzburg war, der von Gernot Tschirwitz gegründet und geleitet wurde. Die meisten Choristinnen und Choristen waren damals Studenten des Konservatoriums, und wir hatten auch schöne Konzerte in Würzburg, Hof, Bamberg und Kitzingen – soweit ich mich erinnern kann. Bei einer Aufführung mit zeitgenössischen Kompositionen (u.a. von Tschirwitz) traten wir im Großen Saal auf. Herr Reinartz ist fast vom Stuhl gefallen, als er mich auf dem Podium sah, ich hatte ihm nichts davon erzählt!

CH: Jetzt haben Sie schon der Schilderung Ihrer Zeit als Sekretärin am Konservatorium vorgegriffen. Erzählen Sie doch bitte, wann Sie an diese Institution gekommen sind.

IS: Das ist eine etwas ungewöhnliche Geschichte: Ich arbeitete zunächst in der Regierung von Unterfranken, wo ich zusammen mit einer Freundin mittags in der Kantine aß. Es gesellte sich immer ein sehr quirliger Mann (der Offiziant Karl Erlbeck) an unseren Tisch, der uns schon als fleißige Konzertbesucher kannte, und informierte uns auch immer über Konzerte, die demnächst im Konservatorium stattfinden würden. Eines Tages fragte er uns, ob wir nicht Lust hätten, uns um eine Stelle im Sekretariat zu bewerben. Es hätten zwar schon Vorstellungsgespräche stattgefunden, aber sie waren mit niemandem zufrieden. Er sagte wörtlich: „Das wär‘ doch was für Euch, Mädla.“ Wir überlegten nur kurz und bewarben uns beide, wurden eingeladen und herumgeführt, auch Herrn Reinartz vorgestellt. Herr Reinartz erinnerte sich an mich, weil mein Klavierlehrer – ein Absolvent von dort – mich bei ihm schon als Bewerberin für das Fachlehrer-Studium vorgestellt hatte.

Naja, ca. eine Woche später rief der Pförtner der Regierung bei mir im Zimmer an, dass mich zwei Herren sprechen wollten, ich solle in die Halle kommen. Dort standen der damalige Verwaltungsleiter Herr Dömling und ein Mitarbeiter. Herr Dömling gratulierte mir dazu, dass sie sich für mich entschieden hätten. Ich fiel aus allen Wolken, weil diese Bewerbung eigentlich gar nicht ernst gewesen war – wenn ich die Stelle nicht bekommen hätte, wäre ich wahrscheinlich in die Fachlehrer-Ausbildung gegangen, obwohl wir große finanzielle Probleme zu Hause hatten. Mein Vater war nämlich sehr früh gestorben – ich war gerade 13 und mein Bruder 3 Jahre alt. Meine Mutter stand alleine da mit einem neuen Haus und vielen Schulden, die Rente war entsprechend gering, weil mein Vater nur 46 Jahre alt wurde. Nun hatte ich natürlich in meiner Abteilung nicht gesagt, dass ich die Absicht habe, mich zu verändern. Kündigungsfrist wären drei Monate gewesen, aber dank der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Herrn Reinartz und dem damaligen Vizepräsidenten der Regierung von Unterfranken, Herrn Dr. Robert Meixner, wurde ein Auflösungsvertrag gemacht, und ich konnte vier Wochen später im Konservatorium beginnen.

CH: Worin bestand Ihre Arbeit?

IS: Ich habe im September 1966 angefangen und kam ins Sekretariat, also ins Vorzimmer, zu einer älteren Kollegin, die Johanna Kirchner hieß. Nachdem sie nach ein paar Jahren aufgehört hatte, habe ich alles übernommen. Das war im Neubau in der Hofstallstraße. Im Sekretariat hatten wir damals sämtliche Aufgabengebiete: die Verwaltung der Studenten, die komplette Kartei, das Haupttelefon – wir mussten den Lehrkräften Telefonate übergeben – und den Parteiverkehr für die Konservatoriumsleitung. Die Studenten haben wir von der Einschreibung an über Prüfungen und Zeugnisse bis hin zu den Konzert- und Prüfungsprogrammen rundum betreut.

Wir haben damals das Aktenmaterial immer aufgehoben. Was ich für fatal halte, ist die gängige Praxis, alles wegzuwerfen, und auch die Tatsache, dass sich niemand so recht für das Archiv zuständig fühlt. So geht Vieles verloren, und gerade bei Studentenakten, die entsorgt werden, wird es problematisch hinsichtlich späterer Recherchen, falls mal der eine oder andere ein berühmter Künstler werden sollte.

CH: Waren Sie auch mit der Herstellung der Jahresberichte betraut?

IS: Nein, die sind ja dann abgeschafft worden, nachdem es in den 60er-Jahren auch nur noch ganz wenige gegeben hatte.[1] Wir durften die nicht mehr herausgeben, da sie vom Ministerium als zu teuer empfunden wurden. Ende der 60er-Jahre hatte dann noch die Musikalische Akademie die Kosten dafür übernommen, aber das hat dann auch wieder aufgehört.

CH: Spielte die Erinnerung an die Vergangenheit des Konservatoriums irgendeine Rolle, als Sie hierhergekommen sind?

IS: Von der Villa Völk wurde noch viel davon gesprochen. Es waren hauptsächlich lustige Anekdoten. So erzählte man, dass Dr. Roland Häfner, Musikwissenschaftler und Bibliothekar ab 1948, zweimal in der Woche von seinem Wohnort München mit dem Motorrad nach Würzburg zum Unterrichten fuhr. Da es keine Bücher oder anderes Unterrichtsmaterial gab, begann er, dieses Material in seinem Rucksack auf dem Motorrad von München nach Würzburg zu transportieren! Da alle Akten der früheren Studenten verbrannt waren, hatte er die fantastische Idee, folgende Initiative zu starten: Studenten, die schon vor Ausbruch des Krieges da waren und danach weiter studierten, wurden gebeten, Jahresberichte aus privatem Besitz zu spenden. Dies war so wichtig, weil alle Namen der Studenten dort aufgelistet waren. Die Jahresberichte wurden dann gebunden und von der Verwaltung für die Ausstellung von Studienzeitbescheinigungen verwendet, die sehr wichtig waren für die Rentenansprüche.

Ich erfuhr auch, dass der damalige Hausmeister Wellinger seine Wohnung in der Villa stundenweise an Lehrer vermietete, damit sie zwischendurch ein Schläfchen halten konnten, und dass er sich ein Zubrot mit Notenschreiben verdiente. Er muss das sehr gut gemacht haben, denn auch Herr Hummel hat immer von ihm geschwärmt.

Was noch? Der Klarinettenunterricht hat in der Villa Völk im Badezimmer stattgefunden, wo die Wanne mit einem großen Brett abgedeckt war. Und dann gibt es noch die Geschichte über Herrn Zanke, den Flötenlehrer, der den Krieg psychisch nicht gut überstanden hat. Er fühlte sich verfolgt und hatte deshalb immer einen Revolver bei sich. Damit soll er sogar einmal einen Hund erschossen haben…

Diejenigen, die dabei gewesen waren, hatten sich alle wie eine Familie in einem Haus gefühlt.

CH: Hatten Sie den Eindruck, dass sie es damals in der Gegenwart im Neubau nicht mehr so schön und familiär fanden?

IS: Nein, alle waren sehr zufrieden. Oben war es ja sehr beengt gewesen. Und anfangs hatte ja auch jeder hier sein eigenes Zimmer, als es noch nicht so viele Lehrkräfte waren. Die kannten sich meistens auch und sind aufeinander zugegangen. Das war eine schöne, familiäre Atmosphäre. Das kann man nicht mehr mit der jetzigen Zeit vergleichen.

CH: Wurde auch über die Ära Hermann Zilcher gesprochen?

IS: Eigentlich weniger. Es war nicht tabu, aber man lebte mehr in der Gegenwart. Es sollte ja aufwärts gehen und aufgebaut werden, da hat man eher in die Zukunft geschaut als in die Vergangenheit, auch wenn man 1966 mit dem Wiederaufbau schon ziemlich weit war. Ich kann mich erinnern, dass sehr gründlich überlegt wurde, das Bild von Herrmann Zilcher aufzuhängen.

CH: Nun war damals ja keiner der älteren Professoren mehr da, oder?

IS: Herr Huth, der Hornlehrer, Herr Bender und Herr Faßbender waren damals noch hier. Außerdem Richard Schömig, der als Domkapitular nur einen kleinen Lehrauftrag hatte und die kath. Kirchenmusik betreute. Der kam in der Woche nur einmal und gab seinen Unterricht. Ich hatte wenig mit ihm zu tun. Als Domkapitular war er natürlich eine ehrwürdige Person.

Karl Bender, der in den 70er-Jahren gestorben ist, hatte eine sehr große Instrumentensammlung von Streichinstrumenten. Die Maccini-Bratsche, die heute der Hochschule gehört und von der man nicht weiß, ob es eine echte Maccini-Viola ist, hat er der Hochschule vererbt. Der kam vor den Feiertagen (Weihnachten, Ostern) immer mit einem Einkaufskorb und hat uns im Sekretariat mit Schokolade eingedeckt. Er war sehr spendabel und liebenswürdig. Als Besitzer einer Weinsammlung hat er bei einem gemeinsamen Betriebsausflug einmal einen sehr teuren, besonderen Wein ausgegeben und herumgereicht.

Franz Faßbender habe ich nur kurz erlebt, weil er dann in den Ruhestand gegangen ist. Auf jeden Fall war er eine richtige rheinische Frohnatur. Er hatte immer gute Laune und viel Humor. Man hat auch zusammen Fasching gefeiert, wo er immer dabei war. Er ist ja auf dem Podium während eines Konzerts gestorben, das fand ich sehr bezeichnend.

CH: Wenn man die Jahresberichte der 1950er- und 1960er-Jahre durchblättert, fällt auf, dass der Zugang ausländischer Studenten noch spärlich ist; ein paar Amerikaner lassen sich nachweisen. Ab den späten 1950er-Jahren kommen dann die ersten japanischen Musiker: 1958 Hiroaki Kobayashi (Klarinette), 1959 Yoshitake Kuchiba (Horn) und 1960 Yoko Korekawa (Klavier).

IS: Herr Huth war international sehr bekannt und hatte in den 60er-Jahren die meisten japanischen Studierenden. Manchmal war er verzweifelt, weil seine Studenten kein Wort Deutsch verstanden. Er erzählte, er müsse alles pantomimisch darstellen, um überhaupt irgendetwas erklären zu können. Aber auch so wurde er oft nicht verstanden, obwohl die Studierenden immer freundlich nickten. Letztlich haben sie sich aber doch gut integriert und die Sprache schnell gelernt.

CH: Hat Herr Huth die japanischen Studenten aus Hamburg mitgebracht?

IS: Nein, das war eine Würzburger Erscheinung. Die Bläser waren ja sowieso hoch angesehen. Das Staatskonservatorium hatte früher den Ruf als beste Bläserschule.

CH: Herrn Stegmann haben Sie nicht mehr gekannt?

IS: Nein, er hatte damals schon aufgehört. Aber ich habe ihn noch ein paar Mal gesehen, wenn er vorbeigekommen ist. Auch Herrn Gugel, Herrn Wingler und Herrn Schaller.

CH: Können Sie den Arbeits- und Studienalltag der 60er-Jahre beschreiben?

IS: Man war immer beschäftigt, ständig unterwegs im Haus. Es musste vieles vorbereitet und bearbeitet werden. Ständig kamen Lehrkräfte zu uns. Dann waren da noch die Vorbereitungen für die Empfänge bei Konzerten. Früher, als die Verwaltung noch sehr klein war, wusste jeder, welche Aufgaben und Funktionen die Kollegen hatten. Heute gibt es verschiedene Abteilungen, die alles intern regeln. Unter den Abteilungen herrscht wenig Informationsaustausch über Details. Damals gab es nur einen Verwaltungsleiter, Alfons Dömling, den Kassierer, Herrn Schenk, der alle Abrechnungen, Mahnungen und Quittungen für Studiengebühren bearbeitet hat, dann noch Frau Leininger, die halbtags in der Verwaltung mitgearbeitet hat, einen Hausmeister, einen Offizianten, der für Tafeln, ausreichend Kreide, saubere Räume, genügend Stühle und für den Aufbau des Orchesters zuständig war, einen Hausarbeiter zur Unterstützung des Hausmeisters, der außerdem für die Außenanlagen zuständig war, und schließlich die sechs Putzfrauen.

Gelegentlich kam es vor, dass Schüler nicht zum Hauptfachunterricht oder zum Unterricht im Pflichtfach Klavier gekommen sind. Die wurden dann abgemahnt. Darauf folgte dann die Drohung, dass sie vom Unterricht gesperrt werden würden. Das hat oft etwas Besserung gebracht. Über die Anwesenheit führten die Instrumentallehrer Präsenzlisten, in die auch der Stundenverlauf eingetragen wurde. Bei „normalem“ Verlauf wurden sie zum Ende jeden Semesters ins Sekretariat gebracht, wo sie in den Studentenakten abgelegt wurden. Dort sind sie heute noch vorhanden…

CH: Sie haben erwähnt, dass es früher gemeinsame Aktivitäten der Verwaltungsleute oder auch mit den Lehrkräften gab?

IS: Ja, es waren auch immer mehr oder weniger alle vollzählig dabei. Der Betriebsausflug fand nur einmal im Jahr statt und auch nur abends, da die Lehrer keinen Unterricht ausfallen lassen wollten. Wir saßen dann meist im „Stachel“ zusammen, wo es, glaube ich, für jeden vom Staat einen Verzehrbon von etwa 7,50 DM gab. Später waren es dann halbe Tage. Die meisten Lehrkräfte waren ja sowieso vor Ort ansässig, da war das einfach zu organisieren. Wir sind dann mit Bussen weggefahren. Ich kann mich an einen Ausflug nach Hammelburg erinnern; einmal ging es in den Spessart. Ich war übrigens etliche Jahre Personalrat für alle – Lehrer und Verwaltung! Ich musste immer meine Urlaubsadresse angeben, und es kam auch schon mal vor, dass man mir in den Ferien einen Brief geschickt hat, weil meine Unterschrift, z.B. bei der Mitwirkung des Personalrats bei der Einstellung, nötig war.

CH: Was können Sie von den Lehrern und vom Leben am Konservatorium allgemein erzählen?

IS: Kurt Hausmann, ein Oboist, der übrigens noch lebt, hat im Bereich Bläserkammermusik in Würzburg sehr viel aufgebaut, womit er auch immer beim Mozartfest vertreten war. Er war sehr engagiert und hat auch alles selbst organisiert. Großes Engagement zeigte er auch bei den Sängern, denen er geholfen hat und bei denen er auch korrepetierte.

Ernst Flackus, der Lehrer für Klarinette und Saxophon, war ein außergewöhnlicher Mensch und auch ein toller Klarinettist. Er hat sich auf eine gewisse therapeutische Art mit der Psyche seiner Studenten auseinandergesetzt, um besser auf sie eingehen zu können. Außerdem hat er mit der Nervenklinik zusammengearbeitet und den Studiengang Musiktherapie als Zusatzfach eingeführt. Außerhalb des Konservatoriums hat er Kurse für autogenes Training gegeben, die immer sehr gut besucht waren.

Der Flötenlehrer Werner Berndsen, der Nachfolger von Herr Zanke, hatte immer volle Klassen; Flöte war bei der Instrumentenwahl sehr beliebt. Ich habe ihn als sehr korrekten, netten und bei seinen Studenten beliebten Menschen erlebt. Sein Hobby war die Aufnahmetechnik, er hat auch das Tonstudio übernommen und sehr viele Aufnahmen erstellt bzw. geleitet.

Henriette Klink-Schneider, die Gesangslehrerin, war eine der ersten Frauen in einer festen Position. Sie war eine sehr natürliche Frau, der jegliche Star-Allüren fern lagen, sehr bemutternd, eine echte Nürnbergerin. Sie hat viele Studenten aus dem Ausland angezogen, sogar aus Haiti; es kamen auch viele aus Schweden. Ehemalige Studenten treffen sich heute noch zu ihrem Andenken hier in Würzburg zusammen mit ihrer Tochter.

Ein richtiges Würzburger Urgestein war Lotte Kliebert. Sie wusste sehr viel und konnte stundenlang erzählen. Sie kannte den Lebenslauf eines jeden Lehrers, auch wie der Unterricht war. Als Vorsitzende des Tonkünstlerverbands kannte sie jedes Mitglied beim Namen und wusste sogar die Telefonnummer eines jeden. Spätestens mit der Etablierung des Studios für Neue Musik, das sehr eng mit dem Tonkünstlerverband verbunden war, gab es regen Kontakt mit Frau Kliebert, auch wenn sie als Tochter eines früheren Direktors bereits vorher schon immer dazugehört hat.

Was mir als unangenehm bei den Eignungsprüfungen, bei denen ich assistieren musste, in Erinnerung geblieben ist, ist die obligatorische Gebissschau bei den Bläsern. Herr Pfister und Herr Daum sind nach dem Vorspiel der Programme vorgetreten und haben die Prüflinge aufgefordert, ihre Zähne zu zeigen. Herr Daum hatte einen guten Kontakt zur Zahnklinik, weil er ständig Schüler hingeschickt hat, denen Zähne zu weit rausstanden oder ähnliches. Teilweise mussten sie sich Zähne entfernen lassen, um besser Posaune spielen zu können, was aber nicht immer den gewünschten Effekt hatte.

CH: Wie viele Musiker wurden bei Aufnahmeprüfungen angenommen? Was können Sie von den Aufnahmeprüfungen sonst noch berichten?

IS: Das war sehr verschieden. Sehr gute Musiker wurden sowieso niemals weggeschickt. Somit gab es Dozenten, die über ihr Deputat hinaus unterrichtet haben, wie zum Beispiel Conrad von der Goltz. Es gab damals aber nicht nur Lehrkräfte, die über ihr Pensum arbeiteten. So war es früher eine gängige Praxis, die Klassen derjenigen Dozenten, die unter ihrem Stundenetat lagen, aufzufüllen. Einige mussten dann Studenten im Pflichtfach Klavier unterrichten oder Kurse in Allgemeiner Musiklehre abhalten.

Die Aufnahmeprüfungen waren immer sehr interessant, aber manchmal auch aufregend, besonders bei den Lehramtsstudenten, die damals unbegleitet vorsingen mussten, wobei öfters Mädchen in Tränen ausgebrochen sind. Die Kommission war hier immer sehr einfühlsam und hat ihre Aufregung berücksichtigt.

Ich erinnere mich noch besonders an die Aufnahmeprüfung von Waltraud Mayer, die sehr gut vorgesungen hatte, aber nur szenischen Unterricht haben wollte, weil sie hauptamtlich Romanistik studierte. Herr Reinartz hat sie gefragt, warum sie denn nicht Gesang studieren wolle, und versprach ihr, dass sie eines Tages in Bayreuth singen werde, womit er Recht behalten hat. Trotzdem hat sie sich anfangs durchgesetzt und hatte ausschließlich szenischen Unterricht bei Herrn Dr. Herbert Decker, dem damaligen Intendanten des Stadttheaters. Er war richtig cholerisch, hat aber bei den Studenten viel erreicht.

Einmal kam ein junger Trompeter aus Santiago de Chile zur Aufnahmeprüfung. Er war sehr aufgeregt, als er das Haydn-Konzert vorspielte und hatte nicht die Kraft für den richtigen Ansatz. Da hat ihm die Kommission die richtigen Töne vorgesungen und er hat sie irgendwie geschafft. Danach erzählte er mir, dass er die Einladung zur Prüfung einen Tag vorher bekommen habe und sofort losgeflogen sei. Die Überprüfung hat ergeben, dass mein „Mit Luftpost“-Vermerk mit einer normalen Briefmarke überklebt war; deshalb war der Brief wochenlang unterwegs. Und überklebt hatte sie unser Offiziant, der auch die Post frankierte, weil er sparen wollte…

CH: Gab es damals auch einen schriftlichen Teil der Aufnahmeprüfung?

IS: Ja, es gab eine Klausur in der Allgemeinen Musiklehre und auch Tests im Fach Gehörbildung. Da hat sich wenig geändert. Allerdings ist kaum jemand wegen eines schlechten Theorie-Ergebnisses durchgefallen, musste aber nach einem Jahr beweisen, dass er etwas dagegen unternommen hat!

CH: Gab es im Alltag auch unangenehme Dinge?

IS: Natürlich. Es war immer sehr unangenehm, wenn Studenten psychische Probleme hatten. Zum Beispiel gab es da eine Organistin, die die Erlebnisse auf dem Treck von Ostpreußen und den Tod einiger Familienangehöriger nie verwunden hatte.

Mir fällt da auch etwas zu dem Pianisten Hans Martin Theobald ein. Jedes Mal, wenn er in Würzburg ein Konzert gab oder jemanden begleitete, kam eine offene Postkarte mit Vorwürfen, warum man ihn als „Nazi-Verbrecher“ nur spielen lassen würde.

CH: Heute gibt es den Hochschulrat, den Senat und andere Gremien und Entscheidungsinstanzen. Wie war das damals organisiert?

IS: Es gab zwar die Lehrerversammlung, die auch beraten und Beschlüsse gefasst hat. Aber das meiste wurde, soweit ich weiß, recht demokratisch über oder durch den Direktor geregelt. Ich meine damit, dass Reinartz nie einen Entschluss fasste, ohne mindestens einen aus der betroffenen Fachgruppe gehört zu haben.

Leider kennt heute kaum jemand noch Hanns Reinartz, dem die Hochschule so viel verdankt. Zur Erinnerung an ihn habe ich 2013 einen kleinen Text über ihn für die Webseite verfasst, den ich gerne an den Schluss meiner Ausführungen stellen möchte:

Vor 100 Jahren wurde Prof. Hanns Reinartz geboren (1911-1988). Er leitete ab 1956 als Direktor das Bayerische Staatskonservatorium der Musik Würzburg und wurde nach dessen Erhebung zur zweiten Bayerischen Musikhochschule 1973 ihr Präsident. Damit verbunden war die Ernennung zum ordentlichen Professor. Reinartz war nach seinem Studium in Köln Repetitor und Kapellmeister an den Städtischen Bühnen Düsseldorf gewesen, danach musikalischer Oberleiter an den Städtischen Bühnen in Bonn (1940-1945), Städtischer Musikdirektor in Solingen (1946-1951), 1. Kapellmeister in Wuppertal (1951-1954) und schließlich Direktor am Nationaltheater Weimar (ab 1954). In Würzburg trat er die Nachfolge von Franz Rau an, der die Wiederaufnahme des Lehrbetriebs unter schwierigsten Bedingungen bewerkstelligt hatte und unter dem das Staatskonservatorium seinen Platz in der Musikkultur der wieder zum Leben erwachenden Stadt gefunden hatte. Darauf aufbauend setzte sich Reinartz für den zentral gelegenen Neubau in der Hofstallstraße ein (Einweihung 1966), wodurch die schon lange untragbaren Raumprobleme endlich gelöst wurden. Auch die Aufwertung zur Musikhochschule nach einem kurzen Intermezzo als Fachakademie geht auf sein beharrliches Engagement zurück. Damit einher gingen die Erweiterung des Studienangebots sowie die Vergrößerung des Lehrkörpers und der Zahl der Studierenden. Und nicht nur dies: In seiner Amtszeit wurden die Musikalische Akademie Würzburg e.V. und der Mozartfest-Wettbewerb gegründet. Die Musikhochschule Würzburg verdankt ihm also sehr viel! Übrigens unterrichtete er trotz der umfassenden Tätigkeit in der Leitung seine zahlreichen Dirigierstudenten stets gewissenhaft. Sie schätzten seinen praxisbezogenen Unterricht sehr; viele erhielten gute Stellungen. Im kulturellen Leben Würzburgs hat Reinartz deutliche Akzente gesetzt. Er hat bedeutende Künstlerinnen und Künstler in die Stadt geholt. Er selbst machte sich über Würzburg hinaus (vor der Ausbreitung der historisch informierten Aufführungspraxis) als Dirigent von Barockmusik einen Namen. 1979 ging er in den Ruhestand. Er wurde mit dem Ehrenring der Stadt Würzburg, dem Bayerischen Verdienstorden und dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Fußnote:

[1] 1967 (89. Jahrgang) erschien zum letzten Mal ein Jahresbericht. Im Studienjahr 1977/78 wurden zum ersten Mal Hochschulmitteilungen publiziert.