Herbert Höhn

über seine Studienzeit am Staatskonservatorium der Musik Würzburg

Herbert Höhn studierte von 1949 bis 1962 am Staatskonservatorium Klavier und Horn.

Vorbemerkung: Es handelt sich um die gekürzte Fassung eines am 17. April 2014 geführten Interviews. Die Fragen stellte Christoph Henzel. Die Abbildungen wurden, sofern nicht anders gekennzeichnet, von Herbert Höhn zur Verfügung gestellt.

CH: Wie sind Sie zur Musik gekommen?

HH: Ich kannte nichts anderes als Musik, denn mein Vater, Otto Höhn, war hier in Würzburg Kapellmeister und Konzertpianist. Er war bekannt, ja prominent. Er hat am Staatskonservatorium studiert. [1] Dann, d.h. von 1916 bis 1920, folgten Engagements in Davos, Garmisch-Partenkirchen und anderen Städten als Konzertpianist und danach zusammen mit Karl Leonhardt eine Lehrtätigkeit an der Musikschule in Bamberg. Beide sind dann wieder nach Würzburg zurückgekehrt: Karl Leonhard ging als Lehrer an das Staatskonservatorium und mein Vater an das Theater. Das war in den 1930er-Jahren. [2] Wir wohnten im Odeon-Haus. Mein Großvater Hans Hammerbacher hatte dort von August 1897 bis 1923 ein Varieté-Theater mit eigenem Orchester, das 30 Mann stark war.[3] Er war Besitzer und Direktor des Theaters. Ab 1920 übernahm dann mein Vater die Stelle des Kapellmeisters. Ende 1923 wurde das Odeon-Theater zum Kino umgebaut. Im Kino war er mit kleiner Besetzung zur musikalischen Untermalung der Stummfilme beschäftigt. Das ging bis 1929, als die Einführung des Tonfilms das Arbeitsende für alle Musiker bedeutete. In den 1930er-Jahren war mein Vater am Stadttheater beschäftigt, hatte aber auch ein eigenes Salonorchester mit 14-16 Musikern. Es war gleichzeitig das Hausorchester der Hutten-Säle in Würzburg. In dieser Zeit unternahm er viele Konzerttourneen, u.a. für KdD (Kraft durch Freude).

CH: Welche Position hatte Ihr Vater damals am Stadttheater?

HH: Cornelius Monske war der erste Kapellmeister, Eugen Mürl der zweite und mein Vater war der dritte Kapellmeister. Das bedeutete, dass er mehr korrepetiert hat, also mit den Solisten die Probenarbeit gemacht hat. Mein Bruder Carl hat auch hier studiert; er war Schüler von Hermann Zilcher, nach dem Krieg auch bei Prof. Leonhardt.[4] Jedenfalls kannte ich als Kind meinen Vater nur als Kapellmeister. Und als sein Sohn hatte ich natürlich die Möglichkeit am Theater mitzuwirken. Als Kind mit vier, fünf Jahren habe ich schon auf der Bühne gestanden. Im Schauspiel habe ich mitgemacht, in Nora von Ibsen zum Beispiel, und in der Dubarry [5] habe ich einen Mohren gespielt. Die ersten Proben für die Oper Carmen, in der ich im Kinderchor mitsingen sollte, fanden vor der Sommerpause 1944 statt. Leider gab es keine Premiere mehr, da die Theater im September geschlossen wurden. Alle wurden eingezogen, mein Vater auch, der nach Nürnberg kam.

Das Kriegsende hier war schrecklich, meine schwerkranke Mutter und ich haben fast nur noch im Keller gelebt, Vater und Bruder waren ja eingezogen. Nach dem Angriff am 16. März hatten wir nur noch den alten Vorführraum in den Trümmern unseres zerstörten Hauses. Mein Vater kam in französische Kriegsgefangenschaft nach Hyères in der Nähe von Marseille. Dort lernte er Karl Reuschel kennen, der später auch ans Staatskonservatorium kam, und gab mit ihm Konzerte und führte Opern auf. Im Februar 1947 wurde er aus der Gefangenschaft entlassen. Meine schwerkranke Mutter starb im April 1947. Mein Vater ging dann nicht mehr ans Theater zurück. Herr Kapellmeister Monske war zwar mehrmals deshalb bei uns zuhause, jedoch vergeblich. In der Folgezeit begann der Wiederaufbau des Wohnhauses und Kinos. Die Odeon-Lichtspiele, geführt von der Erbengemeinschaft Drexler-Höhn, eröffneten am 26. Dezember 1949. Mein Vater war jetzt als Kinobesitzer tätig. Daneben arbeitete er weiterhin als Pianist in den Hutten-Sälen und in den amerikanischen Offiziersclubs. Er begleitete auch Solisten am Klavier und es fanden Operetten- und Opernaufführungen mit der Chorvereinigung Würzburg und der Liedertafel Würzburg unter seiner Leitung statt; z.B. wurden Der Barbier von Sevilla und Fidelio gegeben. Leider wurde seine eigene Operette Lissy nie aufgeführt, da er mit dem Libretto nicht zufrieden war.[6] 1962, da war er 64 Jahre alt, wurde er Rentner.

CH: Haben Sie eine Aufnahmeprüfung gemacht?

HH: Im September 1949 habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht. Nur in Klavier, nicht in Theorie. Was ich damals vorgespielt habe, weiß ich nicht mehr genau. Vielleicht eine Clementi- oder eine Beethovensonate? Und da Prof. Leonhardt ein Freund meines Vaters war, wurde ich als Jüngster gleich im Hauptfach bei ihm aufgenommen. Er und Prof. Knettel waren die beiden Professoren, die den Hauptfachunterricht auf dem Klavier gaben. Wir haben unsere Professoren damals wahnsinnig verehrt. Sie waren wie Väter für uns. Und man kann sagen, wir alle waren eine große Familie. Das hatte natürlich auch etwas mit den Räumlichkeiten in der Villa Völkzu tun. Die Villa war quadratisch mit einer Balustrade im Treppenhaus gebaut – wie das Haus Wahnfried in Bayreuth. In diesem Treppenhaus haben wir Studenten unsere Pausen verbracht und ebenso die Professoren. Dass wir alle dort unser Brot gegessen haben, hat uns verbunden. Unten im Foyer stand ein Konzertflügel. In der großen Aula waren die Orchesterproben, die von den Direktoren geleitet wurden. Natürlich gab es dort auch Vorspielabende, an denen die Professoren direkt neben uns saßen. Das hat am Anfang Nerven gekostet. Aber es war herrlich!

Die Räumlichkeiten ansonsten waren primitiv eingerichtet. Jeder Professor hatte allerdings sein eigenes Zimmer. Prof Leonhardt war unten im Vestibül untergebracht. Er hatte zwei Flügel, einen für sich selbst und einen, auf dem wir Studenten gespielt haben. Meine Kollegen, aber auch die Professoren haben mich damals übrigens „Mozart“ gerufen, weil ich so ein kleiner Kerl war und immer viele Noten dabei hatte. „Ist der Mozart schon im Haus?“, hat Prof. Leonhardt manchmal gerufen.

CH: Wie lief eine Unterrichtsstunde bei Prof. Leonhardt ab?

HH: Den Unterricht begannen wir immer mit Tonleitern in sämtlichen Durtonarten und ihren parallelen Molltonarten am Quintenzirkel entlang. Danach kamen Etüden von Czerny und Clementi dran und dann die vorbereiten Stücke. Wenn ihm etwas nicht gefallen hat, hat er gesagt: „Falsche Phrasierung!“, „Legato!“, „Staccato!“, „Dynamik!“ und so weiter. Warum er es so oder so hören wollte, hat er nicht gesagt. Er hat aber auch vorgespielt, wie es sein sollte. Und er hat Einzeichnungen in die Noten gemacht. Bis zum nächsten Mal musste das dann klappen. Da war er schon sehr streng! Bei den Schülervorspielen hat er Aufnahmen mit einem Tonband gemacht. Und wir mussten dann mit den Noten zu ihm kommen, die Aufnahmen anhören und ihm unsere Fehler aufsagen.

CH: Wie kamen Sie auf das Horn als Zweitfach?

HH: Herr Direktor Rau hatte mich dazu gebracht, obwohl ich eigentlich Trompete spielen wollte. Er meinte, ich hätte mit meinen schmalen Lippen einen Naturansatz. Vielleicht waren auch Plätze bei Prof. Lindner frei. Denn er war nicht mehr fähig, uns etwas vorzuspielen – er hat so gezittert.[7] Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er in der Nazizeit politisch verfolgt wurde.[8] Jedenfalls hatte ich keinen richtigen Unterricht bei ihm; ich habe bei ihm nur Töne ausgehalten. Viel gelernt habe ich also nicht. Doch gab es Anfang der 1950er-Jahre innerhalb von ein paar Jahren einen spürbaren Wechsel bei den Professoren: 1952 ersetzte Prof. Reuschel (Kontrabass) Prof. Witter, 1953 kam Prof. Flackus (Klarinette) für Prof. Steinkamp und 1954 traten Prof. Pfister (Trompete) anstelle von Prof. Stegmann und Prof. Endres (Violine) anstelle von Prof. Schaller in das Lehrerkollegium ein. Eine große Veränderung im Wesen der Professoren konnte man nicht erkennen, denn die Leute waren alle sehr vom Krieg mitgenommen, das hat man schon deutlich gemerkt. Für mich war aber wichtig, dass Prof. Huth die Hornstelle übernahm. Er hatte zunächst noch bis 1957 an der Staatsoper in Hamburg Dienst. Er kam aber schon davor immer für ein paar Tage nach Würzburg und unterrichtete alle Hornschüler. Leider weiß ich nicht mehr, wann der Unterricht bei ihm begann. Es müsste ab 1955 gewesen sein, denn in diesem Jahr war ich das erste Mal im Sommer im Kurorchester in Bad Mergentheim beschäftigt.

CH: Was für ein Mensch war Fritz Huth?

HH: Fritz Huth war ein wunderbarer Mensch. Er hat etwas dargestellt. Er war ein großer Mann, ein richtiger Professor mit langen Haaren und so; er sah fast wie Franz Liszt aus. Er ging mit uns oft in Wirtschaften, z.B. in den Sandertorbäck in der Sanderstraße. Später hat er uns mit nach Bayreuth genommen. Das war natürlich ein Erlebnis. Er war ja damals schon 30 Jahre in dem wunderbaren Festspielorchester. Ich durfte dort bei den Proben neben ihm im Orchestergraben sitzen. Das ging ein paar Jahre so, solange ich noch nicht im Orchester war. Als ich im Studium weitergekommen war, habe ich jedes Jahr beim Mozartfest mit ihm zusammen geblasen, zuerst beim Sinfoniekonzert im Kaisersaal und dann noch bei der Hofgartenmusik. Es gab einfach ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Klasse. Wir Studenten haben ihm gerne seinen VW Käfer geputzt! Und wir hatten alle das Gefühl, irgendwie etwas Besseres als die anderen zu sein. International hatte Prof. Huth einen sehr guten Ruf. Aus Japan, China und Taiwan kamen Schüler zu ihm.[9] Und seine Schüler hatten Erfolg! Ich habe das gleich bei meinem ersten Probespiel in Braunschweig erfahren. Dort bewarben sich ungefähr 40 Hornisten um eine Stelle. Und obwohl ich noch keinen Ton geblasen hatte, war ich schon in der engsten Wahl – weil ich Huthschüler war! Das kam von den Atemübungen, die wir vor jedem Unterricht machen mussten. Wir haben alles aus dem Zwerchfell geblasen. Ich habe mich nicht angestrengt, wenn ich in die Höhe gehen musste. Daran erkannte man den Huthschüler. Und damals saß in fast jedem Orchester mindestens ein Huthschüler. Wenn das der Fall war, kam bei den Probespielen auch nur ein Huthschüler weiter. Wegen der Art und Weise zu blasen, aber auch wegen der Instrumente, denn wir hatten alle Alexanderhörner. Das sind sehr gute Instrumente.

Ich habe meinen Lehrer später immer gerne besucht. Eines Tages hat er zu mir gesagt, er baut sich jetzt ein Haus in Inzell, das ist in Oberbayern, in der Nähe von Traunstein. Dort ist er auch beerdigt worden.

CH: Erinnern Sie sich noch an Ihre Mitstudenten?

HH: Ja natürlich, zum Beispiel an Karl und Toni Hammer. Das waren gute Hornisten. Karl war später bei den Münchner Philharmonikern, Toni war 1. Solohornist an der Deutschen Oper in Berlin. Die Münchner Philharmoniker haben viel moderne Musik gespielt, was den Karl zur Verzweiflung gebracht hat: „Die bringen mich noch um“, hat er gesagt. Und tatsächlich ist er mit 50 Jahren nach einer Probe tot umgefallen! Die beiden hatten noch einen Bruder, Leo, der am Staatskonservatorium Klarinette studiert hat. Der hat viel in Bauernkapellen hier in der Gegend gespielt…

CH: Wie haben Sie sich die nötige Orchesterroutine erworben?

HH: Damals in den 1950er- und 60er-Jahren gab es sehr gute Kurorchester. Alle waren so zwischen 40 und 60 Mann stark, hatten also die volle Besetzung mit 10 bis 12 ersten Geigen, dem vollen Hörnersatz, drei Trompeten usw.– die beste Schule, die es gab. Prof Huth wollte, dass wir dort den Sommer über hingehen, um uns Routine im Blattspielen zu holen. 1955 und 1956 war ich zunächst 2. Hornist in Bad Mergentheim bei Kapellmeister Franz Gaul, der ein 56 Mann starkes Orchester leitete. Gaul war Stummfilmbegleiter bei meinem Vater gewesen. Er nahm mich in sein Orchester auf, aber zurechtkommen musste ich dort alleine. Denn wir haben alles vom Blatt gespielt! Angestellt waren wir bei der Kurverwaltung. Von der Gage her ging es uns gut. Finanziell war ich aber ohnehin ganz gut gestellt, weil wir ja das Odeon hatten, das von meinem Onkel geführt wurde. Unser Kino war sehr beliebt. Ich habe einigen Professoren vom Staatskonservatorium, Karl Leonhardt, Fritz Huth und Dr. Häfner, Karten besorgt, wenn die MGM-Musikfilme liefen, die großen Revuefilme und die Musicals. Wir hatten sogar Erstaufführungen. Deshalb kamen dann auch die großen Stars des deutschen Kinos zu uns zu Besuch. So war ich z.B. mit Liselotte Pulver und Hans Moser essen. Aber das ist ein anderes Thema… Jedenfalls ging die Saison immer von 1. Mai bis Ende Oktober. Dann kam man wieder nach Würzburg zurück und es wurde weiterstudiert. Fast alle Bläser waren im Sommer weg.

Nach zwei Jahren, 1957, kam ich dann als 1. und 3. Hornist in das Kurorchester in Bad Neuenahr und in das Nordfranken Symphonie Orchester in Schweinfurt. Ein richtiges Symphonieorchester war das. Dieses Orchester hatte bei einem Busunfall auf einer Konzerttournee seinen zweiten Hornisten verloren. Auf Anraten von Prof. Huth habe ich ihn ersetzt. Das Orchester wurde von der Mailänder Scala mehrere Jahre lang engagiert, als Begleitung für die zweite und dritte Besetzung auf den Europatourneen. Wir waren ein halbes Jahr in Amsterdam und haben von dort aus an den größten Opernhäusern in Holland gespielt, in Utrecht, Den Haag und in Rotterdam. Es wurden nur Opern von Verdi und Puccini aufgeführt. Es war wunderbar, denn wir hatten jeden Tag ein ausverkauftes Haus.

CH: Sie haben jeden Tag geprobt und dann abends gespielt?

HH: Ja, so ging es jeden Tag und dazwischen haben wir neue Opern eingeübt. Und da habe ich etwas erlebt, was heute lächerlich erscheint, aber wirklich so geschehen ist: Unser erster Kapellmeister musste zurück nach Mailand und an seiner Stelle kam – eine Dame, eine Kapellmeisterin von der Scala. Wir haben uns erst geweigert, unter einer Frau zu spielen. Dann haben wir Hornisten ihr einen Streich gespielt, indem wir das Unisono am Anfang des 3. Akts der Tosca einen halben Ton tiefer intoniert haben, was sie erst beim Einsatz des Solocellisten gemerkt hat…

CH: Das Orchester bestand nur aus Männern?

HH: Hauptsächlich aus Männern. Es gab in jedem Orchester Flötistinnen, Harfenistinnen und Frauen bei den Streichern. Aber es gab niemals eine Klarinettistin, Fagottistin oder sogar eine Hornistin. Das gab es einfach nicht! Ich glaube nicht, dass Prof. Huth eine Frau unterrichtet hätte…

Jedenfalls habe ich auf diese Weise fast jede Oper kennengelernt. In Deutschland haben wir mit der Scala auch Fidelio und Hänsel und Gretel aufgeführt. Allerdings wurde das Orchester 1962 aufgelöst. Die besten Musiker gingen woanders hin, wir übrigen haben noch eine Zeitlang jeden Sonntag im Rathaus in Bad Mergentheim und im Sommer in Sennfeld Konzerte mit leichter Klassik gegeben. Außerdem wurden wir zu den Betriebsfeiern der Firma Kugelfischer zu Weihnachten und zu Ostern engagiert. Ich kam 1962 auch zu den Hofer Symphonikern. Da war noch keine Stelle frei, ich habe aber laufend Aushilfen gemacht. Das war auch eine schöne Zeit, denn das Orchester war noch etwas besser. Es war fast 60 Mann stark und den ganzen Sommer über in Bad Kissingen beschäftigt. Wir haben viele Symphoniekonzerte gegeben. Fast alle Symphonien hatte ich so bald drauf. Es war herrlich. Schon allein da mitten drin zu sitzen und für den schönen Klang zu arbeiten. Die Hornisten sind die Seele des Orchesters, haben wir immer gesagt.

CH: Wann haben Sie Ihre Abschlussprüfung gemacht?

HH: Gar nicht. Wir konnten nicht, denn die Prüfungen lagen zwischen Mai und Oktober. Prof. Huth hat auch keinen Wert darauf gelegt. Er hat gesagt: „Die Orchesterroutine ist für dich zehnmal wichtiger. Wenn du zu Probespielen fährst, brauchst du keinen Chorgesang oder Harmonielehre. Du musst der beste Bläser sein, du musst deine Orchesterstudien blasen und ein gutes Konzert.“ Und deshalb sind wir, wie wir soweit waren, alle in die Kurorchester gegangen, um Routine zu bekommen. Mein Nebenfach Klavier habe ich bei Prof. Leonhardt fleißig weiterstudiert. Auch Musikgeschichte, Instrumentenkunde, Kontrapunkt und Harmonielehre habe ich besucht. Den Unterricht hat Dr. Häfner gegeben, wobei ich sagen muss, dass Musikgeschichte etwas langweilig war, während ich die Harmonielehre interessanter fand. Da haben wir bezifferte Bässe ausgesetzt und mussten dazu Melodiestimmen schreiben.

CH: Sie hatten auch Schlagzeugunterricht…

HH: Ach ja, das weiß ich schon gar nicht mehr. Auch dazu hat mich der Herr Direktor Rau überredet. Wie dann aber Prof. Huth da war, war das für mich kein Thema mehr.

CH: Welche Rolle hat moderne Musik hier im Unterricht gespielt?

HH: Ich habe zwar Stücke aus dem Mikrokosmos von Bartók bei Prof. Leonhardt gespielt, aber ansonsten hat neue Musik eigentlich keine Rolle gespielt. Prof. Huth sagte: „Mit Richard Strauss hört die Musik auf.“ Strauss hat er sehr verehrt, Hindemith oder Schönberg kamen dagegen nie im Unterricht vor.

CH: Wie haben Sie geübt und wie viel haben Sie denn geübt?

HH: Ich habe am Anfang sechs Stunden am Tag Klavier geübt. Es wurde weniger, als das Horn hinzukam. Horn habe ich zunächst zweieinhalb Stunden geblasen, später dann mehr. Ich konnte Gott sei Dank zuhause üben. Prof. Huth war sehr streng. Nicht geübt zu haben, konnte man sich nur ein-, zweimal erlauben. Auch bei ihm begann der Unterricht mit Tonleitern und Etüden, da hat er aber seine eigenen Etüden genommen, die man auch heute noch kaufen kann, und seine Orchesterstudien, in denen sich sämtliche schwierigen Stellen aus Opern und Symphonien befinden. Und schließlich standen die Konzerte und Vortragsstücke auf dem Programm, die er stets am Klavier begleitete. Er war aber ein schlechter Pianist. Erwähnen will ich noch, dass wir jede Etüde, jedes Vortragsstück, jedes Konzert in verschiedene Tonarten transponieren mussten. Da man als Hornist ständig transponieren muss, sollten wir das auf diese Weise üben.

CH: Was hat Ihr Bruder beruflich gemacht?

HH: Er war Mitbegründer des Philharmonischen Orchesters in Würzburg, hatte aber nur einen Aushilfsvertrag für 20 Dienste im Monat. Deshalb hat er mehr in den amerikanischen Clubs gespielt. Um Geld zu verdienen, haben viele Pianisten und Bläser in den amerikanischen Offiziersclubs gespielt. Ich selbst, der ich damals 15, 16, 17 Jahre alt war, aber auch Schüler von Prof. Leonhardt wie Ernst Michaeli, Johannes Kamprad, Manfred Dietz und Otto Hümmer. Das kam natürlich auch Direktor Reinartz zu Ohren. Da mussten wir bei ihm antreten. „Nein, nein“, hat er gesagt, „Sie studieren hier am Bayerischen Staatskonservatorium Musik, und zwar klassische Musik. Und wir möchten nicht sehen, dass Sie da draußen Tanzmusik, Swingmusik spielen.“ Aber er hat dann doch beide Augen zugedrückt, denn viele mussten ein bisschen Geld verdienen. Einfach war das wirklich nicht: Da kamen Sänger mit handgeschriebenen Sachen, die ziemlich schwer zu lesen und erst recht zu begleiten waren. Damals waren Leute wie Bing Crosby hier!

CH: In Ihrem Bewerbungsschreiben von 1949 steht, dass Sie ab 1942 Klavierunterricht hatten. Waren Sie Schüler Ihres Vaters?

HH: Nein, der Vater hat mich niemals unterrichtet. Ich hatte Unterricht bei Lilli Brönner, die hauptamtlich an der Mozartschule als Musiklehrerin tätig war und nebenbei eine Menge Privatschüler hatte. Sie war einmalig. Wer etwas für Musik übrig hatte, der war Schüler von Lilli Brönner. Sie hatte mit jedem Kontakt, ob das nun Direktor Reinartz war oder Prof. Leonhardt. Mit allen war sie per Du. „Du musst ans Staatskonservatorium gehen“, hat sie mir immer gesagt. Bis 1945 hat sie dort auch als Lehrbeauftragte unterrichtet; außerdem war sie kurz am Theater als Korrepetitorin bei meinem Vater. Sie hat ihr Fähnchen immer genau nach dem Wind gerichtet. So war Lilli Brönner z.B. mit dem damaligen Gauleiter Otto Hellmuth befreundet. Deshalb hatte sie das Recht, jederzeit in der Gauleiterloge des Theaters die Opern, Operetten und Symphoniekonzerte anzuhören. Da hat sie uns auch mit hereingenommen. Nach dem Krieg war das natürlich vorbei. Da war sie dann aber mit sämtlichen Professoren von der Hochschule befreundet. Und wenn sie ihr Kaffeekränzchen im Café Mozart gehalten hat, waren sie alle da.

Als Lehrerin war sie streng. Sie hatte eine merkwürdige Angewohnheit: Sie hat keinen Akkord gleichmäßig angeschlagen. Mein Vater hat sich darüber geärgert. Aber sie war eine gute Lehrerin. Später hat sie uns noch einmal zuhause besucht. Erstaunlich: Sie hat mit 40 genauso ausgesehen wie mit 85. Und als ich am Konservatorium studiert habe, musste ich immer, wenn sie öffentliche Vorspielnachmittage mit ihren Schülern veranstaltet hat, jemanden begleiten oder vierhändig spielen.

CH: Wie ging es mit Ihnen bei den Hofer Symphonikern nach 1962 eigentlich weiter?

HH: Es war eine schwierige Situation für mich, denn sie hatten lange keine freie Stelle. Und mein Vater war alleine mit dem Kino. Deshalb habe ich 1962 mit dem Studium aufgehört und nach der Auflösung des Nordfranken-Orchesters die Umschulung zum kaufmännischen Angestellten im Vogel Media Verlag gemacht. Mein Bruder war schon da. Er hat es gedeichselt, dass ich dort untergekommen bin. Es gab da Abteilungsleiter, die etwas für Musik übrig hatten. So durfte ich Betriebsfeste und Ehrungen mit Musik begleiten. Aber gearbeitet habe ich am Computer, was ich auf die Dauer nicht aushalten konnte. Deshalb habe ich wieder Unterricht bei Prof. Huth genommen und zusätzlich von 1962 bis Okt. 1968 bei den Hofer Symphonikern als ständige Aushilfe mit Verträgen als 3. und 1. Hornist gespielt. Für diese Zeit habe ich den gesamten Urlaub vom Verlag verwendet und mich freistellen lassen. Jede freie Minute habe ich in Hof am Theater und in Bad Kissingen verbracht. Im Oktober 1968 wurde dort endlich die Stelle des 1. Hornisten frei. Ich habe das Probespiel – hinter einem Vorhang, da ich dem Orchester bekannt war– erfolgreich absolviert und die Stelle bekommen. Den Vertrag habe ich dann wegen der schweren Erkrankung meines Vaters zurückgeben. Er hatte Lungenkrebs und mich gebeten, sich um ihn kümmern. Damals hat man das gemacht, was die Eltern sagten. Es war natürlich schlimm für mich. Meine Frau schüttelt heute noch den Kopf: Wie kann man sowas machen? Ich habe den Vater noch jahrelang gepflegt. Und in der Zwischenzeit ging es auch mit dem Kino bergab. Mittlerweile ist das Haus an einen Diskothekenbesitzer verkauft. Ich wohne noch darin und muss mir nun die Nächte über dieses Zeug anhören…

CH: Sie haben also ab 1962 gar nicht hauptberuflich als Musiker gearbeitet?

HH: Hauptberuflich nicht, wegen dem Vater. Bis 1968 habe ich noch als Aushilfe bei den Hofer Symphonikern geblasen.[10] Dann wurde mir eine Stelle als Klavierlehrer an der Musikschule in Külsheim angeboten, die von Prof. Daum gegründet worden war. 18 Jahre lang, von 1978 bis 1996, habe ich dort unterrichtet, an drei Tagen in der Woche. Außerdem habe ich die „Bigband der Musikschule Külsheim“ gegründet. Ich konnte mit den besten Leuten aus der Gegend ein Orchester mit 18 Mann zusammenstellen. Wir hatten große Erfolge in Baden-Württemberg und in Würzburg. So spielten wir drei Bühnenbälle des Stadttheaters. Das hat mir Spaß gemacht! Der Unterricht an der Musikschule nicht, aber die Arbeit mit der Big Band.

Redaktion: Christoph Henzel und Barbara Schürch

Nachtrag: Herbert Höhn ist am 18. Oktober 2021 verstorben.

Fußnoten:

[1] Otto Höhn, geb. am 5.6.1898, studierte von 1911-1916 Fagott als Hauptfach.

[2] Tatsächlich kam Karl Leonhardt erst 1947 als Klavierlehrer an das Staatskonservatorium.

[3] Vgl. zur Geschichte der Odeon-Lichtspiele Margit Maier, Das Geschäft mit den Träumen. Kinokultur in Würzburg, Würzburg 2009.

[4] Carl Höhn ist in den Jahresberichten des Bayerischen Staatskonservatoriums Würzburg als Klavierstudent von 1939-1941 und von 1949-1952 nachgewiesen, im Studienjahr 1951/52 auch als Dirigierstudent.

[5] Die Dubarry, Operette von Carl Millöcker (UA Wien 1879), ab 1931 in der Neufassung von Theo Mackeben.

[6] Die Musik war teilweise bereits während der Kriegsgefangenschaft entstanden. Das Textbuch verfasste später Dr. Richard Stury, ein Münchener Rechtsanwalt. Der Titel der Operette bezieht sich auf Herbert Höhns Mutter.

[7] Vgl. dazu folgenden Passus im Beurteilungsbogen, den Direktor Franz Rau am 11.6.1955 nach München sandte: „Studienprofessor Rudolf Lindner, dessen Unterrichtstätigkeit von einer wirklich ernsten Pflichtauffassung bestimmt wird, ist menschlich und charakterlich eine einwandfreie Persönlichkeit. Leider ist in der Hornklasse in letzter Zeit, wie dem Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus bereits bekannt, eine Abwanderung von reiferen Schülern festzustellen, die sich für die Orchesterübungen und Orchesterkonzerte in einschneidender Weise auswirkt.“ (Archiv der HfM Würzburg, Personalakte Rudolf Lindner, fol. 52)

[8] Studienrat Rudolf Lindner wurde auf der Grundlage des am 7. April 1933 verabschiedeten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentumsaus dem Staatskonservatorium entlassen, da seine Mutter jüdischer Abstammung war. An seine Stelle trat 1934 Fritz Huth.

[9] 1959 wurde der erste Student aus Japan in die Huth-Klasse aufgenommen: Yoshitake Kuchiba.

[10] Anlässlich seines 80. Geburtstags arrangierte Herbert Höhns Frau Angelika, unterstützt von der Intendantin Ingrid Schrader, ein Überraschungswiedersehen mit dem Orchester. Am 13. Februar 2015 konnte er, vom Orchester und seinem Dirigenten Johannes Wildner herzlich willkommen geheißen, der Generalprobe, der Konzerteinführung und dem abendlichen 6. Symphoniekonzert Russisches Intermezzo in der Freiheitshalle Hof beiwohnen.