Prof. Eberhard Buschmann erinnert sich

an seine Zeit an der Hochschule für Musik Würzburg

Der Text stellt das Ergebnis eines Interviews am 11. November 2019 dar, bei dem sich die Fragen im Nachhinein als überflüssig herausstellten.

Interviewer und Textredakteur: Silas Bischoff

 

Ich möchte erzählen, wie ich 1971 an die Hochschule für Musik Würzburg gekommen, dort gelehrt und das Hochschulleben erlebt habe. Deshalb beginne ich mit meiner Geschichte etwas früher in meiner Vergangenheit.

Ich habe am Konservatorium in Dortmund und an der Musikakademie in Detmold studiert. Ich hatte mit Klavier begonnen und erst später das Fagott hinzugenommen, schloss schließlich beide Fächer mit Bestnoten ab. Da mein Vater früh verstorben war, war ich finanziell schon früh auf mich selbst gestellt. Ich konnte mir glücklicherweise schon in meiner Studienzeit in Detmold als Korrepetitor etwas dazuverdienen, so zum Beispiel bei Tibor Varga in der Violinklasse oder bei Jost Michaels in der Klarinettenklasse, wodurch ich die Bläserliteratur gut kennenlernte. Auch als Solist am Klavier war ich gefragt; so spielte ich beispielsweise Gershwins „Rhapsody in Blue“.

Anschließend nahm ich an Wettbewerben teil. Beim Internationalen Fagottwettbewerb in Genf erhielt ich eine Silbermedaille, beim ARD-Musikwettbewerb wurde ich für meine Interpretation eines Stücks von Henri Dutilleux gelobt und durfte im Abschlusskonzert mitwirken. Ab 1957 war ich Solofagottist im Orchester des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen. Ich habe dort 13 Jahre lang die gesamte Opern- und symphonische Literatur kennengelernt. Aushilfstätigkeiten und Kammerkonzerte mit Kollegen führten mich nach Dortmund, Essen, Düsseldorf und Hannover, bevor ich die Lehrtätigkeit am Bayerischen Staatskonservatorium in Würzburg, wie es damals noch hieß, aufnahm.

Die Stelle kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Wie gesagt, hatte ich an Opern alle gespielt, die es gab, glaube ich; sogar die, die damals nicht so üblich waren, wie Alban Bergs „Wozzeck“. Auch sämtliche Operetten und die meisten Musicals von damals habe ich in Gelsenkirchen kennengelernt. In dem Moment, in dem ich sozusagen einen gewissen Punkt als Fagottist, als Orchestermusiker, als Kammermusiker erreicht habe, war die Stelle da. Und die habe ich mir dadurch erspielt, dass ich mich eben nicht nur als Fagottist gegen meine Konkurrenten, sondern vor allem auch auf dem Klavier durchsetzen konnte. Denn bei der Ausschreibung der Stelle, die ich dann 20 Jahre lang bekleiden durfte, wurde nach einem Fagottisten gesucht, der auch Klavier für Pflichtfachstudenten unterrichten konnte. Mein Vorgänger hatte nur drei Fagottschüler gehabt! Um dennoch die hauptamtliche Stelle halten zu können, kam man auf die Idee, dass dieselbe Person doch auch Unterricht für die zahlreichen Pflichtfachstudenten auf dem Klavier geben könne. Am Staatskonservatorium war es üblich, auch andere Aufgaben zu übernehmen, wenn ein Überhang an Stunden existierte. Der Oboist Kurt Hausmann beispielsweise war gleichzeitig noch Bibliothekar. Der Posaunist Walter Daum hat auch Geige unterrichtet. Im Lauf der Entwicklung bekam dann jeder Lehrer genügend Studenten, sodass das nicht mehr nötig war. Innerhalb kurzer Zeit wollten bei mir so viele Studenten lernen, dass ich keinen Klavierunterricht mehr zu geben brauchte. Das hatte ich bestimmt meinem Bekanntheitsgrad als Fagottist zu verdanken.

Die Unterrichtstätigkeit bedeutete für mich, das Bestmögliche für die Studentinnen und Studenten zu erreichen, die bestmöglichen Instrumente und Repertoirestücke zur Verfügung zu stellen. Was die Literatur angeht, gab es ja zu meiner Zeit noch nicht so viel für das Fagott. Erst im Laufe meiner Tätigkeit wurden zum Beispiel die Fagottkonzerte von Antonio Vivaldi bekannt und verlegt, denen wir uns natürlich sofort mit offenen Armen annahmen. Was die Instrumente angeht, stellte ich Verbindungen zu den Herstellern her, um herauszufinden, welche preiswert, aber genauso gut wie die der Firma Heckel waren. Die Ausbildung am Bayerischen Staatskonservatorium war danach ausgerichtet, Musiker für die Orchesterstellen auszubilden. Dennoch war es mir wichtig, meinen Studenten auch solistisches Repertoire nahezubringen – und auch Musik der Moderne.

Das persönliche Verhältnis zu meinen Studentinnen und Studenten war immer gut. Ein menschliches Miteinander war mir wichtig. Und jeder sollte versuchen, so viel von der eigenen Existenz weiterzugeben wie möglich. Nicht der Lehrer auf dem Podium, der sagt: „Das geht so und so und wenn ihr das nicht macht, habt ihr hier nichts zu suchen!“ Das hat es ja auch gegeben. Naja, auf jeden Fall habe ich zu allen Studenten immer ein gutes Verhältnis aufbauen können. Auch wenn es bei manchen vielleicht etwas gedauert hat, denn, wenn man als junger Mensch einem Lehrer quasi ausgeliefert ist, muss man darauf vertrauen, dass der das richtigmacht, dass der erkennt, was für einen wichtig ist.

Etwas später kam zur Ausbildung der Musiker noch eine pädagogische Zusatzausbildung hinzu, weil nicht jeder Instrumentalist nach dem Studienabschluss auch ins Orchester kommen konnte und unterrichten musste. Nach dem Krieg war das anders; es gab viele freie Stellen, da viele Musiker nicht zurückkamen. Doch als die größeren und bekannteren Orchester dann schließlich voll waren, haben sich gute Musiker auch für kleinere Orchester, wie z.B. die Würzburger Philharmoniker, beworben. Schließlich gab es wesentlich mehr Absolventinnen und Absolventen als freie Orchesterstellen. Daher war die pädagogische Ausbildung der Orchesterinstrumentalisten sehr sinnvoll. Anfangs gab es dazu nur noch keinerlei Erfahrungen. Es gab noch kein Konzept, keine Literatur, keine Prüfungsanforderungen. Glücklicherweise konnte ich auf meine Erfahrungen als Pianist mit Diplom zum Privatmusiklehrer zurückgreifen und viele pädagogische Ansätze übertragen.

Neben meiner Tätigkeit an der Musikhochschule Würzburg unterrichtete ich auch am städtischen Hermann-Zilcher-Konservatorium. Dort ging es weniger um die Ausbildung von Orchestermusikern, sondern vielmehr um die Ausbildung von Privatmusiklehrern. Als dann schließlich das Konservatorium in die Musikhochschule integriert werden sollte, galt es, neue Studienpläne für die Fächer zu erstellen, die die Musikhochschule bisher nicht angeboten hat, darunter eben die Ausbildung zum Instrumentallehrer. Dort sind andere Voraussetzungen und Inhalte wichtig im Vergleich zur Ausbildung von Orchestermusikern oder Solisten.

Darüber hinaus etablierte sich gleichzeitig das Studium der Schulmusik. Viele neue Kolleginnen und Kollegen kamen dazu. Das geschah damals in der Ära Franz Hennevogl; er leitete die Abteilung Schulmusik. Ein Fach war noch nicht eingerichtet: Schulpraktisches Klavierspiel. Ein Lehrer, der eine Klasse unterrichtet, muss imstande sein, ohne große Vorbereitung ein Volkslied zu begleiten oder Beethovens Vierte zu paraphrasieren. Da ich ein versierter Pianist war und auch als solcher in der Hochschule auftrat, fragte mich Prof. Hennevogl, ob ich das Fach installieren wollte – was ich auch tat. In Würzburg begleitete ich Studierende als Korrepetitor im Unterricht, bei Vorspielen und bei Prüfungen am Klavier. Das war auch beim Unterrichten von Orchesterstellen sinnvoll, da ich meinen Studenten beim Spielen immer den musikalischen Background liefern konnte. So war ich selbst drei Jahre lang nach meiner Pensionierung noch als Korrepetitor bei meinem Nachfolger in der Hochschule tätig.

Das Mozartfest nahm für mich eine wichtige Rolle in Würzburg ein. Ich trat dort 25 Jahre lang jährlich als Solist, im Kammerorchester und in Kammermusikensembles in Erscheinung. Als Solist spielte ich Mozarts Fagottkonzert, als Kammermusiker die vielen Werke Mozarts für Bläserensemble, vor allem die Bläseroktette oder die Harmoniemusiken aus den Opern. Für fünf Jahre hatten wir Programme nur mit Werken Mozarts, erst danach ging es wieder von vorne los. Die Konzerte fanden im Kaisersaal und im Gartensaal der Residenz statt. Zunächst wurde ausschließlich Musik von Mozart gespielt. Später war das dann etwas erschöpft und man hat auch Werke von den „Hauskomponisten“ der Hochschule aufgeführt, dazu zählten Berthold Hummel, Zsolt Gárdonyi, Hermann Zilcher und Klaus Hinrich Stahmer.

Ein Höhepunkt der Reihe erlebte ich, als der beste Dirigent, den ich mir für das Orchester vorstellen konnte, nach Würzburg kam: Günther Wich. Er war vorher Generalmusikdirektor in Düsseldorf gewesen. Ein Generalmusikdirektor, der Kammermusik dirigiert… Es hat selbst einem alten Orchestermusiker und erfahrenen Solisten wie mir Spaß gemacht, bei ihm im Orchester zu sitzen. Er hatte eine ungeheure Übersicht über die Kompositionen. Es gab nur seine Intuition, aber die war keinesfalls festgebacken. Vom Orchesterspiel war es perfekt, das Orchester bestand ja auch an den Pulten aus den Professoren: Conrad von der Goltz als Konzertmeister, Jörg Metzger am Cello, Holger Berndsen an der Flöte, Karl Hausmann an der Oboe, Buschmann am Fagott, Gottfried Langenstein am Horn, Michinori Bunya am Bass… Dazu kamen die besten Studenten. Es war also schon eine sehr gute Auslese, die für diese Konzerte ausgewählt wurde. Dann eben dieser Mann am Pult: Fantastisch! Ich erinnere mich noch an sein Antrittskonzert, bei dem er die Szene von Wagners „Meistersinger“ präsentierte, bei der erklärt wird, wie die Metren der damaligen Meistergesänge aufgebaut sind. Das ist für einen Dirigenten so etwas wie eine Achterbahnfahrt, alle zwei Worte findet ein Taktwechsel, ein Wechsel in der Stimmung statt. Und das hat er so fantastisch gemacht, dass alle in der Kommission einschließlich mir der Meinung waren: Einen Besseren gibt es nicht für uns. Da begann dann die Zeit, in der er das Orchester dirigiert und diszipliniert hat. Fünf Minuten vor Beginn der Probe saß er schon vorne und wehe, wer dann zu spät kam… Das hat sich keiner mehr getraut.

Daneben habe ich fünf Jahre lang die „Konzerte nach Ladenschluss“ betreut. Der Kollege Fink hatte die Idee gehabt, einmal im Monat in der Aula der Fachhochschule in der Münzstraße ein Konzert anzubieten nach dem Motto: Die Leute gehen einkaufen und anstatt direkt nach Hause zu gehen, können sie den Tag mit guter Musik ausklingen lassen. Studenten, die in der Lage waren, ein Werk öffentlich zu präsentieren, wurden zu einem etwa anderthalbstündigen Programm zusammengefasst. Ich habe das Konzept von ihm übernommen und einmal im Monat mit Studierenden aller Instrumente ein Konzert veranstaltet. Das war für die Studierenden eine gute Vorbereitung auf den Ernstfall und für mich eine zusätzliche Aufgabe, die ich sehr gerne übernommen habe. Ich konnte auch immer wieder als Begleiter einspringen. Das Format eignete sich auch gut für kleinere Experimente. So ließ ich das Publikum Volkslieder singen und bemerkte erstaunt, wieviel Liedgut bekannt ist und in den Köpfen der Allgemeinheit steckt, so zum Beispiel der Kanon „Ich armes, welsches Teufli“, den Hermann Zilcher im letzten Satz seines Bläserquintetts verarbeitete. Den Kanon habe ich schließlich mit dem Publikum einstudiert… Naja, eigentlich habe ich nur anzeigen müssen, wann welche Gruppe mit dem Kanon beginnt, weil das Volkslied so bekannt bei den Leuten war, dass die Melodie jedem klar war. Die Konzerte waren gut besucht, meist von Personen ab circa 40 Jahren und von Studenten, die wissen wollten, was ihre Kollegen denn so machen.

Zum Rosenmontag organisierte ich immer eine Matinee mit humoristischen Stücken, beispielsweise ein Küchenballett. Die Musiker waren häufig verkleidet. Für meine Tochter, die Sportlehrerin war, hatte ich eine „Gymnastikmusik“ komponiert, die wir in einer Bearbeitung für Fagottensemble und Klavier aufführten. Im Laufe des Stückes wurde das Ensemble immer kleiner, da die Tänzerinnen die Spieler zum Mittanzen aufforderten. Eine Schilderung eines persischen Markts war eines Jahres auch auf dem Programm, auch hier wieder mit Tanz verbunden. Die Musik stammte von dem englischen Komponisten Albert William Ketèlbey. Reiner Jux zu Fasching eben, aber der kleine Saal war rappelvoll.

Neben meiner Tätigkeit an der Hochschule war ich als Fagottist im Consortium Classicum tätig. Sämtliche Bläserwerke von Mozart, Haydn, von Weber und vielen Kleinmeistern aus der Zeit wurden von uns auf Schallplatte und später auf CD aufgenommen. Seit 1968 führten uns Konzertreisen von Irland bis Neuseeland quer um die Welt, meist getragen durch das Goethe-Institut. Auch das ZDF ermöglichte uns eine Reise nach China, bei der gleichzeitig ein Film über uns gedreht wurde.

Dadurch kamen dann auch viele Studenten aus dem Ausland zu mir. Ein Schüler aus Shanghai studierte bei mir, bevor er wieder zurückging und dort schließlich die Professur für Fagott bekam. Weitere folgten aus Japan, Taiwan, Italien, Griechenland, Österreich und Russland. Meine Fagottklasse war international! Ich muss dazu sagen, dass da meine Frau eine große Rolle spielte. Wir feierten viele Feten hier zuhause und wenn eine neue Studentin oder ein neuer Student aus dem Ausland in die Klasse gekommen ist, kochten sie etwas Landestypisches in großer Runde. Meine Frau gehörte mit dazu, sie kannte die meisten Studenten und hat daneben auch die Familie geschmissen. Immerhin hatten wir ja vier Kinder. Das Familienleben passte allerdings gut, denn trotz meiner vielen Aktivitäten habe ich genügend Zeit für meine Familie gefunden.

Eine Geschichte möchte ich noch gerne loswerden. Schon damals gab es eine Partnerschaft zwischen der Hochschule für Musik Würzburg und der Musikhochschule in Weimar. Zur Zeit der Wende besuchte uns das Hochschulorchester aus Weimar für ein Konzert. Ein Bläseroktett, das ich anleitete, gewann den internen Hochschulpreis und sollte daher zum Gegenbesuch nach Weimar reisen. Der Termin für den Auftritt fiel auf den 3. Oktober 1990 und noch wusste niemand, welch ein wichtiger Termin das werden würde. Wir fuhren hin und es war gigantisch. Die Stimmung war unglaublich, nicht nur von der Musikhochschule aus. Der ganze Ort feierte abends eine Riesenfete zur Wiedervereinigung Deutschlands, auch das ZDF war da. Feuerwerk und Böller wurden losgelassen, eine Rakete fiel in ein Zelt und entzündete es. Sagenhaft!